„Wir sind gern Vorbild“
Foto: Andreas Teichmann
Die Einigung könnte als leuchtendes Beispiel für viele Betriebe dienen: Beim Wohnungsanbieter Vivawest Wohnen in Gelsenkirchen sind Vertrauensleute der IGBCE für ihre gewerkschaftliche Arbeit zeitweilig freigestellt. Im Interview mit Andreas Schulte berichtet der Betriebsratsvorsitzende Markus Pliska, wie es zu der Sozialpartnervereinbarung kam und welche Vorteile sie hat.
Zur Person:
Der gelernte Bergmechaniker und Immobilienkaufmann Markus Pliska (56) ist im IGBCE-Bezirk Gelsenkirchen Ortsgruppenvorsitzender. Bei Vivawest Wohnen vertritt er als Betriebsratsvorsitzender zudem die Interessen der Belegschaft.
Eine Frage vorweg: Warum sind Beschäftigte einer Wohnungsbaugesellschaft in der IGBCE organisiert?
Vivawest ist aus der Wohnungswirtschaft der früheren Bergbaugesellschaften hervorgegangen und bewirtschaftet heute viele ehemalige Bergarbeitersiedlungen. Bei einer Neustrukturierung im Jahr 2012 wurde die IGBCE als Gesellschafter aufgenommen. Diese Wurzeln prägen bis heute das Selbstverständnis des Unternehmens.
Rührt aus der Montantradition ein erhöhtes Verständnis des Arbeitgebers für die Mitbestimmung?
Ja, dieser Hintergrund hilft uns bei unserer Arbeit. Wertschätzung und Kommunikation auf Augenhöhe sind hier gegeben. Ein gut verhandelter Haustarifvertrag lockt in Zeiten des Fachkräftemangels viele Kandidatinnen und Kandidaten zu uns. Darüber sind wir froh. Aber klar ist auch: Die Geschäftsführung hat wie jede andere zwei Hüte auf: Sie ist nicht nur den Beschäftigten, sondern auch dem geschäftlichen Erfolg verpflichtet.
Wie entstand die Idee, Vertrauensleute für deren Arbeit freistellen zu lassen?
Die Entstehung ist ein Stück weit unserer Struktur geschuldet. Wir haben acht Außenstellen verteilt über ganz Nordrhein-Westfalen und 54 Vertrauensleute. Wenn Sitzungen erst um 18 Uhr beginnen können, ist es aufgrund der zu erwartenden Fahrzeit sehr schwierig, Ehrenamtliche zu motivieren. Einige sind mit ihren Arbeitsstunden auch ins Minus geraten, weil sie frühzeitig von der Arbeit aufbrechen mussten.
Seid ihr mit euren Plänen zur Freistellung von Vertrauensleuten auf Widerstände in der Geschäftsleitung gestoßen?
„Hurra“ geschrien haben die nicht. Aber gelebte Praxis war es bereits vorher, die eine oder andere Freistellung für Aktionen und Sitzungen mit dem jeweiligen Arbeitsdirektor auf dem kleinen Dienstweg zu vereinbaren. Aber dadurch entstand ein rechtlich unsicherer Status, der weder im Interesse der Geschäftsleitung noch in unserem lag. Insofern war nach guter Überzeugungsarbeit durch uns der Weg bald frei. Denn mit der Sozialpartnerschaft garantieren wir dem Arbeitgeber ja auch Grenzen der Freistellung. Klausurtagungen bleiben beispielsweise ehrenamtlich. Wir wollen keinen Freibrief.
Einige Freistellungen, etwa für Gespräche mit dem Betriebsrat, sind ohnehin im Betriebsverfassungsgesetz garantiert. Inwiefern geht eure Regelung darüber hinaus?
Alle wiederkehrenden Sitzungen und Versammlungen samt Fahrzeit sind enthalten. Für die Freistellung zu unregelmäßigen Aktionen wie etwa Spendenaktionen zu Weihnachten müssen wir nur eine Mitteilung machen, aber nichts abstimmen. Unsere Vertrauensleute erledigen ohnehin viele ehrenamtliche Einsätze zusätzlich zu ihrer regulären Arbeit. Jetzt sind sie für rund 40 Stunden pro Jahr bezahlt freigestellt.
Wir Betriebsräte sind auf die Unterstützung der Vertrauensleute angewiesen. Gerade in den Außenstellen, wo Betriebsratsarbeit nur abgeschwächt wirkt, sind die Vertrauensleute wichtig.
Markus Pliska
Warum ist eine solche Regelung wichtig?
Weil wir nur so alle Möglichkeiten der Mitarbeit von Vertrauensleuten ausschöpfen können. Wir Betriebsräte sind auf die Unterstützung der Vertrauensleute angewiesen. Gerade in den Außenstellen, wo Betriebsratsarbeit nur abgeschwächt wirkt, sind die Vertrauensleute wichtig. Sie unterstützen die Betriebsratsarbeit vor Ort, etwa indem sie Werbung für eine Betriebsversammlung machen oder Befragungen durchführen. Dies alles erhöht die Effizienz in der Mitbestimmungsarbeit. Davon profitiert auch der Arbeitgeber.
Besteht durch mehr Freistellungen die Gefahr, dass sich Kolleginnen und Kolleginnen nicht wegen gewerkschaftlicher Arbeit wählen lassen, sondern um in erster Linie in den Genuss der Freistellung zu kommen?
Die Gefahr sehe ich nur bedingt. Es ist auch jetzt so, dass man einige wenige Vertrauensleute nach ihrer Wahl erst einmal auf die Strecke bringen muss. Es ist immer mal jemand dabei, der meint, er müsse sich hin und wieder in die Hängematte legen. Aber das sind Ausnahmen. Notfalls muss man den Leuten vor der nächsten Wahl genau auf den Zahn fühlen und prüfen, ob eine Wiederwahl wirklich sinnvoll ist.
Wir zählen in der IGBCE über Jahre konstant knapp 15.000 Vertrauensleute. Dennoch herrscht gerade in kleineren Betrieben oft Mangel. Trägt eure Vereinbarung dazu bei, die Arbeit von Vertrauensleuten attraktiver zu machen?
Ja, das spüren wir schon jetzt. Es gab schon Anrufe aus anderen Betrieben. Die haben gefragt, wie wir das gemacht haben und ob wir ihnen die Vereinbarung schicken können. Aber ich weiß nicht, ob meine Informationen dort schon zu konkreten Ergebnissen geführt haben. Grundsätzlich gebe ich sehr gern Auskunft über unsere Sozialpartnerschaft. Wir sind gern Vorbild. Da kann mich jeder ansprechen. Aber ich berichte ohnehin auf Sitzungen und Tagungen darüber. Vielleicht ist das Thema sogar eines für den Gewerkschaftskongress der IGBCE im Oktober in Hannover.
Würdest du dir eine Verankerung der Freistellung von Vertrauensleuten im Betriebsverfassungsgesetz wünschen?
Das dürfte schwierig werden. Beim Betriebsverfassungsgesetz warten wir schon seit vielen Jahren auf eine umfassende Novellierung. Eine Regelung der Freistellung über eine Sozialpartnerschaft, über eine Betriebsvereinbarung oder mittels tariflicher Einigung scheint mir der schnellere Weg zu sein. Vom Gesetzgeber würde ich mir allerdings eine grundsätzliche Stärkung des Ehrenamts wünschen. Arbeitgeber müssen zum Beispiel Schöffen oder Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr freistellen. Warum sollte es also nicht möglich sein, über diesen Weg auch Vertrauensleute für ihre Aufgaben freizustellen? Das wäre durchaus denkbar.