Praxis

Juni | Juli 2025

Keine Angst vor dem Kollegen Roboter

Bis Ende 2025 soll die Rahmenbetriebsvereinbarung zur KI stehen. Ines Stern arbeitet als IT-Ausschusssprecherin bei Merck in Darmstadt daran mit.

Foto: Andreas Reeg

Künstliche Intelligenz (KI) erobert Produktionshallen und Büros. Immer mehr Unternehmen setzen auf digitale Tools, um neue Produkte zu entwickeln, Produktivität zu steigern oder Abläufe zu automatisieren. Warum der Einsatz von Chatbots und KI-Agenten ein Fall für die Mitbestimmung ist und wie Betriebsräte mit dem Thema umgehen – Kathryn Kortmann hat sich umgehört.

Längst ist KI in den Betrieben angekommen. Im Büro helfen Programme wie ChatGPT oder Copilot dabei, Präsentationen zu erstellen oder Sprachbarrieren zu überwinden. In der Produktion unterstützt KI die Steuerung der Anlagen und erkennt schnell und effizient, wenn es Probleme gibt. In Forschungslabors trifft KI mit drei Klicks Vorhersagen über Stoffeigenschaften. Ob Energie-, Chemie- oder Pharmaindustrie KI ist in jeder Branche bereits im Einsatz – und sie wird bleiben und die Arbeitswelt massiv verändern. So lautete auch das Fazit einer Denkwerkstatt der IGBCE, zu der sich Anfang April neun Betriebsrätinnen und -räte in Berlin mit Hauptamtlichen der Gewerkschaft und mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern trafen.

Ines Stern ist freigestellte Betriebsrätin und stellvertretende Konzernbetriebsratsvorsitzende beim Chemie- und Pharmaunternehmen Merck in Darmstadt, dazu IT-Ausschusssprecherin. KI erlebt die 37-Jährige als ein forderndes Thema, das tiefer in die Mitbestimmungsprozesse eingreift als andere digitale Anwendungen, zugleich aber auch schwieriger zu fassen ist. „Das ist eine Gratwanderung“, erzählt sie. „Wir müssen natürlich wissen, wo KI eingesetzt wird, aber wir müssen nicht jeden Einsatz bis ins Detail erfassen.“ Viele der 13.000 am Standort Darmstadt Beschäftigten arbeiten bereits mit KI, oft ohne es zu wissen. In mehr als 3000 Tools, die im Unternehmen im Einsatz sind, sei schon jetzt KI drin, „und es werden ständig mehr“, sagt Ines Stern. „Stoppen lässt sich dieser Trend nicht. Das wollen wir auch gar nicht, aber wir brauchen gute Regeln für den Einsatz der KI.“ Zum Beispiel, um Kolleginnen und Kollegen zu schützen, wenn es um datenschutzrelevante Themen geht, oder wenn eingesetzte Systeme Produktivität und Leistung messen, die einzelnen Beschäftigten zuzuordnen sind und dann möglicherweise Auswirkungen auf deren Beurteilung und Arbeitsverhältnis haben.

Foto: Andreas Reeg

Gesundheitliche Risiken durch KI

Aber nicht nur das. „Auch in puncto Gesundheitsschutz müssen wir ein Auge auf Künstliche Intelligenz haben“, erzählt Ines Stern. Denn Arbeitsabläufe ändern sich. Oft nehmen Algorithmen den Kolleginnen und Kollegen vergleichsweise leichte Aufgaben ab, bei denen nicht immer die volle Konzentration gefordert ist. „Das führt zu einer Art Arbeitsverdichtung, weil Beschäftigte bei dem, was für sie übrigbleibt, dauerhaft auf höchstem Niveau agieren müssen und sie im Arbeitsverlauf keine Momente der Entspannung mehr erleben“, sagt Stern. Psychische Be- und Überlastungen seien so programmiert. „Auch dafür müssen wir Lösungen finden“, erklärt die IT-Ausschussvorsitzende. „Kurzpausen zum Beispiel könnten hier die nötige Entlastung bringen.“

Mit Transparenz und Weitsicht zur passgenauen Lösung

Bis Ende 2025 soll eine Rahmenbetriebsvereinbarung auf Konzernebene verbindliche Regeln für den Einsatz schaffen. Die Beteiligten nehmen sich die nötige Zeit, denn die Vereinbarung soll passgenau auf die Bedürfnisse der Beschäftigten und des Unternehmens zugeschnitten werden. Seit vergangenem Herbst arbeiten die Mitbestimmungsgremien bei Merck auf Hochtouren, um eine solche Rahmenbetriebsvereinbarung auf den Weg zu bringen. Den Startschuss gab eine gemeinsame Klausur von Betriebsrat, IT-Ausschussmitgliedern, Unternehmensvertretern sowie Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Ziel der Klausur war es, „alle fit zu machen und in Sachen KI auf einen Stand zu bringen“, sagt Ines Stern. Sie betont, wie wichtig gerade bei diesem für viele wenig greifbaren Thema Transparenz innerhalb der Mitbestimmung ist. Bisher hat der IT-Ausschuss ein Diskussionspapier mit möglichen Inhalten konzernweit erarbeitet, das dann erneut in die örtlichen Betriebsratsgremien geht, um aus deren Rückmeldungen dann eine möglichst umfassende Rahmenvereinbarung zu verhandeln. „Unser Ziel ist es nicht, KI zu verteufeln und zu verhindern“, sagt Stern, „sondern sie im Sinne der Beschäftigten mitzugestalten und damit das Unternehmen voranzubringen.“

Unser Ziel ist es, KI im Sinne der ­Beschäftigten mitzugestalten.

Ines Stern

Leitplanken für den Umgang mit KI

Diesen Ansatz verfolgt auch der Betriebsrat beim Werkstoffhersteller Covestro in Leverkusen. Regelmäßig finden dort außerdem Beschäftigtenbefragungen statt, um auch die Beschäftigten mitzunehmen. Eine der letzten wollte von den Kolleginnen und Kollegen wissen: „Hilft dir KI im Arbeitsalltag?“ Das Ergebnis: Vor allem aus dem Ingenieurbereich – in den Bereichen IT, Marketing, Einkauf oder Sales – gab es positive Rückmeldungen. Die Produktionsbeschäftigen, wo KI ebenfalls bereits im Einsatz ist, merken die Hilfe eher weniger. Dabei sorgen KI-Tools auch dort für Unterstützung und erhöhen die Produktionsmenge bei gleichbleibender Qualität. KI erkennt maschinelle Fehler schneller und stoppt die Produktion früher, wodurch eine längere Produktionsunterbrechung vermieden wird. „Effekte, die das Unternehmen nach vorne bringen, ohne dass es direkt viel Geld in die Anlagen investieren muss“, sagt Gunter Falk. Der Betriebsrat ist Sprecher der KI-Kommission, die bei Covestro vor gut einem Jahr ins Leben gerufen wurde.

Der Kommission gehören neben Mitgliedern aus den Betriebsratsausschüssen Entgelt und Arbeitszeit, Bildung und Jugend, IT und AGU (Arbeitssicherheit, Gesundheit und Umwelt) auch der Arbeitgeber, Kollegen und Kolleginnen aus der Personal- und aus der Datenschutzabteilung an. Gemeinsam erarbeiten sie Leitplanken für den KI-Einsatz im Unternehmen. „So aufgestellt sind wir vor der Welle“, beschreibt Gunter Falk das Vorgehen. Heißt: Bevor KI zum Einsatz kommt, hat die KI-Kommission das Tool kennengelernt, bewertet, mögliche Probleme benannt und dafür gesorgt, dass sie verschwinden. Bislang war das ohne Betriebsvereinbarung möglich, weil die „Systeme unkritisch sind“, erklärt Falk. „Aber sobald personenbezogene Daten eine Rolle spielen, brauchen wir zwingend eine Verschriftlichung, die für Sicherheit sorgt.“

Der 62-Jährige ist,wie auch seine Kolleginnen und Kollegen in der IGBCE-Denkwerkstatt, davon überzeugt, dass KI die Arbeitswelt in rasantem Tempo auf den Kopf stellt. Angst hat er davor nicht. „Wie lange reden wir schon vom papierlosen Büro?“, fragt Falk – mit Blick darauf, dass dort immer noch Menschen arbeiten. „Und auch eine menschenleere Fabrikhalle wird es in naher Zukunft nicht geben.“ In Zeiten von Fachkräftemangel „sollten wir mögliche Risiken zwar im Hinterkopf haben, unseren Umgang mit KI aber eher auf die Chancen ausrichten, die sie uns bietet.“ Die letzte Entscheidung, wie KI eingesetzt wird, „liegt beim Menschen, und in der Mitbestimmung haben wir es in der Hand, dass das so bleibt“.