Die Last mit der Beweislast
Das Thema Betriebsratsvergütung bleibt in den Schlagzeilen. Ein neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts stellt klar: Arbeitgeber können die Vergütung von Betriebsräten nicht einfach kürzen, weil sie meinen, die Vergütung sei in der Vergangenheit zu hoch gewesen. Ein gutes und wichtiges Urteil, sagt die IGBCE. Ohnehin ist die Diskussion um Betriebsräte, die angeblich zu viel Geld bekommen, ziemlich verquer. Oft genug ist das Gegenteil der Fall.
Betriebsverfassungsgesetz
Paragraf 78 legt fest, dass Betriebsratsmitglieder „wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung“.
Bundesgerichtshof
Entscheidung des BGH im Fall VW vom 10.1.2023, Aktenzeichen 6 StR 133/22
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 20.3.2025, Aktenzeichen AZR 46/240
Betriebsverfassungsgesetz
Der Paragraf 37, Absatz 4 besagt, dass das Entgelt eines Betriebsratsmitglieds „nicht geringer bemessen werden [darf] als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“.
Betriebsverfassungsgesetz
Der Paragraf 37 wurde unter anderem ergänzt durch den Satz: „Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln.“ Auch Paragraf 78 wurde ergänzt.
Arbeitsgerichtsgesetz
Das Beschlussverfahren ist in Paragraf 2 des ArbGG geregelt. In strittigen kollektivrechtlichen Fällen muss eine fehlende Zustimmung des Betriebsrats durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt werden.
Georgios K. (Name von der Redaktion geändert) hat alles versucht: Er hat sich in seinem Beruf qualifiziert, er hat sich mehrfach um offene Stellen bei seinem Arbeitgeber, einem kleinen Chemieunternehmen in Niedersachsen beworben – vergeblich. Und er hat einen Verdacht: Er bekommt die Jobs nicht, weil er Betriebsrat ist. Das, so sagt sein Anwalt, sei ihm in Gesprächen unter vier Augen etwa mit Vorgesetzten auch so widergespiegelt worden. Beweisen freilich konnte er das nicht, jedenfalls nicht so, dass ein Gericht zu seinen Gunsten entschieden hätte.
Viermal schon hat Georgios mithilfe des DGB-Rechtsschutzes auf eine angemessene Vergütung geklagt. Schließlich dürfen Betriebsräte aufgrund ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt werden. 1 Er ist nicht freigestellt, er kann die entsprechenden Qualifikationen für einen besser bezahlten Arbeitsplatz vorweisen, etwa als Meister, aber „der Arbeitgeber lässt sich immer wieder neue Ausreden einfallen“, sagt Tino Junghans, Regionalleiter Nord des DGB-Rechtsschutzes, der den Fall als Anwalt betreut. Da heißt es dann zum Beispiel, seine Zusatzqualifikationen brauche Georgios für die ausgeschriebene Stelle gar nicht. Und die Gerichte? Bleiben hart, weil sie hohe Ansprüche an die Beweislast stellen. Wenn ein Betriebsratsmitglied eine höhere Vergütung verlangt, muss er oder sie beweisen, dass diese angemessen ist. „Die Beweislast ist in der Praxis ein Riesenproblem“, sagt Junghans. Wenn sich Arbeitgeber querstellen, wie im Fall Georgios K., „sind solche Verfahren unheimlich schwer zu führen“.
Die Konsequenz: IGBCE-Betriebsrat Georgios bekommt immer noch jene Vergütung, die er schon vor Antritt seines Ehrenamts als Betriebsrat erhielt. Entwicklung? Fehlanzeige. Damit ist er nicht der einzige, betont Jurist Junghans. „Viele Betriebsräte bleiben auf der Vergütung kleben, die sie vor ihrer Betriebsratstätigkeit bekommen haben.“ Eine angemessene Entwicklung „ist eher die Ausnahme als die Regel“. So wird das Betriebsratsamt zum Karrierekiller. Aber auch das darf laut Gesetz nicht sein.
Arbeitgeber muss zu hohes Entgelt beweisen
Die Einschätzung des DGB-Rechtsschutzexperten steht in krassem Widerspruch zur öffentlichen Diskussion. Dort ist eher von zu hohen Vergütungen für Betriebsräte die Rede. Hintergrund ist das schlagzeilenkräftige Urteil im Fall VW. Der Bundesgerichtshof hatte entschieden, dass sich Unternehmen strafbar machen, wenn sie Betriebsräten eine zu hohe Vergütung zahlen. 2 Das aufsehenerregende Urteil schlug hohe Wellen. Manager sahen sich bereits mit einem Bein im Knast. In Unternehmen und unter Betriebsratsgremien sorgte das Urteil für große Verunsicherung – und führte im Extremfall dazu, dass Geschäftsleitungen die Vergütungen von Betriebsratsmitgliedern kürzten oder kürzen wollten.
Hier hat nun das jüngste hochrichterliche Urteil in Sachen Betriebsratsvergütung für etwas mehr Klarheit gesorgt. Das Bundesarbeitsgericht urteilte: So einfach geht das nicht mit dem Kürzen. 3 Will ein Arbeitgeber das Entgelt eines Betriebsratsmitglieds kürzen, muss er darlegen und beweisen, dass das Entgelt zu hoch war. 4 Heißt: In diesem Fall liegt die Beweislast nicht beim Betriebsratsmitglied, sondern beim Arbeitgeber.
Urteil dürfte Diskussion beruhigen
Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung/Aufsichtsratsrecht in der IGBCE-Hauptverwaltung in Hannover, hält das Urteil für einen wichtigen Fortschritt, zumal das oberste deutsche Arbeitsgericht damit anders urteilte als die Vorinstanzen. „Das Urteil dürfte die Diskussionen in den Betrieben um die Betriebsratsvergütungen etwas beruhigen, es bringt unseren Betriebsräten mehr Sicherheit“, sagt Grüneberg.
Die Last von der Beweislast ist also ein wenig gedämpft worden. Verschwunden ist sie nicht. Will ein Betriebsratsmitglied eine höhere Vergütung, muss er oder sie weiterhin beweisen, dass die Erhöhung gerechtfertigt ist – das Thema Entwicklung der Vergütung bleibt unsicheres Terrain. Die jüngst abgelöste Ampelregierung hatte das Problem erkannt und – auch auf Drängen der Gewerkschaften – das Betriebsverfassungsgesetz geändert. Seither ist es möglich, dass Betriebsräte und Arbeitgeber die Entwicklung der Vergütung von Betriebsräten in einer Betriebsvereinbarung regeln. 5 Diese Änderung ermöglicht es, dass Betriebsräte und Arbeitgeber sich auf ein Verfahren einigen, wie sogenannte Vergleichsgruppen gebildet werden: Betriebsratsmitglieder werden zu Beginn ihrer Amtszeit mit vergleichbaren Arbeitnehmern in Gruppen zusammengefasst. So wird es möglich, dass die Entgelte abgeglichen werden können: Wie hat sich das Entgelt des Betriebsratsmitglieds entwickelt, wie jenes der Vergleichsgruppe?
Betriebsvereinbarung bringt Sicherheit
Betriebsräte sollten von dieser Möglichkeit unbedingt Gebrauch machen. Die IGBCE stellt dafür eine entsprechende Musterbetriebsvereinbarung zur Verfügung. Eine solche Vereinbarung zu erarbeiten, dafür sei gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, betont IGBCE-Jurist Jan Grüneberg. Schließlich stehen im kommenden Jahr Betriebsratswahlen an. „Wenn die Rahmenbedingungen der Vergütung geklärt sind, macht das eine Kandidatur zum Betriebsrat auch attraktiver.“ Und wenn dann die neugewählten Betriebsratsmitglieder im Amt sind, kann auf Grundlage der Vereinbarung umgehend damit begonnen werden, Vergleichsgruppen zu bilden. Gerade in kleineren Betrieben bleibt jedoch ein Manko: Es handelt sich lediglich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung, die nicht per Einigungsstelle erzwingbar ist. Deshalb können sich Arbeitgeber auch einfach den Bestrebungen des Betriebsrats entziehen. In diesen Fällen sollten Betriebsräte dennoch Vergleichsgruppen bilden, auch ohne Zutun des Arbeitgebers. Sie haben dann etwas zur Hand, falls es später zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt.
Im Fall Georgios K. dreht der betreuende DGB-Rechtsschutz übrigens den Spieß jetzt um: Der Betriebsrat hat einer Einstellung eines Bewerbers auf einen Arbeitsplatz, auf den sich auch Betriebsrat Georgios K. beworben hat, widersprochen. Damit geht der Fall jetzt ins Beschlussverfahren. 6 Das bedeutet: Die Beweislast liegt dann beim Arbeitgeber. Er muss vor Gericht darlegen, warum Georgios K. schon wieder nicht der Richtige für den Job ist. Eine Entscheidung steht noch aus.