Interview

Februar | März 2025

Foto: Achim Zeller/Wacker Chemie

„Wir können leichter für Verbesserungen sorgen“

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU verlangt von Unternehmen neue Standards bei der Berichterstattung zur Nachhaltigkeit. Der Mitbestimmung eröffnen sich durch die Richtlinie große Chancen, ­erzählen Barbara Kraller und Ingrid Heindl, Betriebsrätinnen bei Wacker Chemie, im Interview mit Andreas Schulte.

Zur Person:

Ingrid Heindl (links) ist stellvertretende Vorsitzende des Konzern- und Gesamtbetriebsrats bei Wacker Chemie. Die 47-Jährige stieß 1993 als Auszubildende zum Unternehmen. Seit 2018 sitzt sie im Aufsichtsrat.

Barbara Kraller (rechts) ist Vorsitzende des Konzern- und Gesamtbetriebsrats, sowie Aufsichtsratsmitglied bei Wacker Chemie. Die 44-Jährige hat dort 1996 als Chemikantin angefangen.

Barbara, Ingrid, neue Berichtspflichten deuten zunächst einmal auf mehr Bürokratie hin. Warum sollten sich Arbeitnehmervertretungen dennoch mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD-Vorbild auseinandersetzen?

Barbara: Sie bietet einen Hebel, die Interessen von Kolleginnen und Kollegen besser durchzusetzen. Vorteile sehe ich nicht nur für die Mitbestimmung. Auch der Arbeitgeber und die Bevölkerung können profitieren.

Wie das?

Barbara: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird durch die EU-Richtlinie hinsichtlich der Bedeutung und der Vorgehensweise auf eine Stufe mit der finanziellen Berichterstattung gestellt. Sie ist zudem öffentlich. Unternehmen wollen daher einen möglichst positiven Bericht abgeben. Das erhöht den Druck, noch nachhaltiger zu handeln. Die Berichterstattung kann also wichtige Veränderungen anstoßen und zugleich von Unternehmen als Marketinginstrument genutzt werden. Und wenn darin am Ende steht, dass ein Unternehmen über das Jahr beispielsweise seine Energieeffizienz gesteigert hat, profitiert von dieser Entwicklung jeder, auch die Bevölkerung.

Wie können Betriebsräte Einfluss auf den Bericht nehmen?

Ingrid: Der Regierungsentwurf verpflichtet Arbeitgeber, die Arbeitnehmervertretungen nicht nur über die Inhalte des Berichts zu informieren. Die Unternehmensleitung muss zudem einschlägige Informationen und die „Mittel zur Einholung und Überprüfung von Nachhaltigkeitsinformationen” mit ihnen erörtern. So steht es derzeit in der Vorlage. Im Klartext: Die gesamte Erstellung des Berichts muss mit der Arbeitnehmervertretung diskutiert werden. Wir können unsere Themen also gut platzieren.

Was gehört denn alles hinein in den neuen Nachhaltigkeitsbericht?

Ingrid: Es gibt drei Kategorien: Umwelt, Unternehmensführung und eben auch Soziales. Darunter fallen zum Beispiel Arbeitsbedingungen, Gleichstellung und Diversität, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz oder etwa Aus- und Weiterbildung – also klassische Arbeitsfelder für Betriebsräte und Gewerkschaften.

Wie können Betriebsräte sich einbringen?

Barbara: Möglichst früh. Am Anfang der Berichterstellung steht die sogenannte Wesentlichkeitsprüfung. Dabei wird zunächst festgelegt, über welche Themen genau berichtet wird. Also, welche Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft sind besonders wichtig? Hier sollten Betriebsräte gleich von Beginn an mitwirken, um Chancen für Verbesserungen zu identifizieren und im späteren Verlauf durchzusetzen.

Schleppende Umsetzung

Die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung EU betrifft Unternehmen, die zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz, eine Bilanzsumme von mehr als 25 Millionen Euro, mehr als 250 Beschäftigte. In Deutschland sind dies schätzungsweise 15.000 Unternehmen. Eigentlich hätten die Mitgliedstaaten die EU-Richtlinie bereits im vergangenen Sommer in nationales Recht umsetzen müssen. Doch bislang existiert nur ein Regierungsentwurf, der noch durch den Bundestag muss.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Barbara: Nehmen wir Equal Pay. Ein Arbeitgeber hat kein Interesse daran, dass Berichte über Lohnungerechtigkeiten an die Öffentlichkeit gelangen. Existiert in seinem Unternehmen aber zum Beispiel eine geschlechterspezifisch ungleiche Bezahlung, kann der Betriebsrat darauf hinwirken, dieses Thema in den Nachhaltigkeitsbericht aufzunehmen. Spätestens dann wird die Unternehmensleitung das Gespräch suchen, um Maßnahmen abzuleiten, die eine Schieflage beheben. Letztlich profitiert von einer transparenten Berichterstattung auch das Unternehmen in seiner Außendarstellung – besonders wenn es viel in Nachhaltigkeit investiert hat. Und das wiederum kann ihm helfen, Fachkräfte zu gewinnen.

Ingrid: Ein weiteres Beispiel wäre die Gesundheitsförderung. Ist der Krankenstand im Unternehmen hoch, macht sich das im Bericht nicht gut. Stehen dort aber zusätzlich Maßnahmen, wie das Unternehmen dagegen vorgeht, hat dies eine bessere Außenwirkung. Auch präventive Gesundheitsangebote oder lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle bekommen eine neue Wirkung. Betriebsräte können mit dem Bericht Themen identifizieren und anschließend mit einem Fingerzeig darauf leichter für Verbesserungen sorgen.

Haben Betriebsräte durch die Berichtspflichten auch neue Rechte?

Barbara: Grundsätzlich nicht mehr als ihnen das Betriebsverfassungsgesetz bereits gibt. Aber durch die Öffentlichkeit der Berichte wird ihr Hebel größer, Verbesserungen herbeizuführen.

Besteht die Gefahr, dass Unternehmen die Berichte im Alleingang erstellen?

Barbara: Das dürfte schwierig werden. Derzeit verlangt der Regierungsentwurf die Einbindung der Mitbestimmung. Der Aufsichtsrat muss dem Bericht zudem zustimmen und kann gesonderte Stellungnahmen nicht ignorieren. Würde etwa ein Betriebsrat übergangen, könnte er eine eigene Stellungnahme abgeben. Außerdem wird alles extern durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geprüft

In der Nachhaltigkeitsinitiative Chemie3 entwickelt ihr einen Leitfaden zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten. Wie sieht der aus?

Ingrid: Es sind viele Tipps aus der Praxis für die Praxis. Was in Gesetzestexten schwierig klingt, erklären wir kurz und einfach – zum Beispiel wie man ganz konkret eine Wesentlichkeitsanalyse durchführt. Voraussichtlich im Sommer wird der Leitfaden fertig sein.

Deutschland setzt die EU-Richtlinie schon jetzt nicht fristgerecht um. Der Regierungsentwurf dürfte zudem vor den Neuwahlen nicht mehr in den Bundestag gelangen. Was bedeutet das?

Barbara: Solange die EU-Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt ist, ist auch der Rahmen für die betriebliche Umsetzung nicht ganz klar. Einige Unternehmen könnten sich zurücklehnen und erst einmal abwarten, wie die endgültige Übertragung in deutsches Recht aussehen wird. Aber Unternehmen, die Chancen durch die Berichte erkennen, werden trotzdem einen freiwilligen Bericht abgeben.