Der
Ausbildungs-
verbesserer

Ayhan Esen – Gewerkschafter mit viel Verständnis für die Jugend
Foto: Severin Wohlleben
Als er gefragt wurde, ob er dieses sehr spezielle Ehrenamt für die IGBCE übernehmen wolle, hat Ayhan Esen keine Sekunde gezögert. Aus gutem Grund: Diese Chance bietet sich womöglich nur einmal in einem Ausbilderleben. „Beim nächsten Mal bin ich wahrscheinlich schon in Rente“, sagt der 44-Jährige.
Ayhan Esen sitzt als einer von vier ehrenamtlichen Gewerkschaftsvertretern für die Arbeitnehmerseite in dem Sachverständigengremium, das die neue Ausbildungsordnung für den Beruf des Verfahrensmechanikers in der Glastechnik erarbeitet. Die soll ab August 2026 bundesweit gelten. Letztmals wurde die Ausbildungsordnung für diesen Beruf 2002 angepasst. Höchste Zeit also, die Ausbildung zu modernisieren. Denn in den vergangenen 20 Jahren haben sich die Anforderungen für Glastechniker in vielen Bereichen verändert. Die Digitalisierung hat auch in diesem Ausbildungsberuf Einzug gehalten. Aufgabe des Gremiums ist es, „die neue Ausbildungsordnung so zu gestalten, dass sie zeitgemäß, zukunftsfähig und praxisnah ist und die Auszubildenden fit für den Beruf werden“, erzählt Ayhan Esen.
Neben den IGBCElern bilden Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeberseite, mehrerer Bundesministerien und von Berufsschulen das Sachverständigengremium. Dass die IGBCE bei der Erarbeitung von Ausbildungsrichtlinien mit im Boot sitzt, wissen viele Gewerkschaftsmitglieder nicht, sagt Esen. „Aber das ist sehr wichtig, weil wir als Berufspraktiker nah an den Auszubildenden dran sind und darauf achten, dass ihre Interessen bei aller Neuordnung nicht unter den Tisch fallen.“
Näher dran an den Auszubildenden als Ayhan Esen ist kaum jemand: Er war bis zu seiner Freistellung als Betriebsratsvorsitzener Ausbilder für die Verfahrensmechaniker Fachrichtung Glastechnik bei Noelle + von Campe in Boffzen in Südniedersachsen. Dort ist er bereits seit 1998 mit Beginn seiner Ausbildung zum Industriemechaniker tätig.
Bei Noelle + von Campe arbeiten etwa 570 Beschäftigte. Sie produzieren an 365 Tagen rund um die Uhr jährlich mehr als 900 Millionen Glasbehälter in etwa 500 verschiedenen Formen und Größen, zum Beispiel für Marmeladen, Honig oder Speiseöle.
die neue Ausbildungsordnung so zu gestalten, dass sie zeitgemäß, zukunftsfähig und praxisnah ist und die Auszubildenden fit für den Beruf werden
Ayhan Esen
Die Arbeit in dem Gremium verlangt von den Sachverständigen viel Fachwissen und Detailarbeit: Welche Ausbildungsinhalte sind überholt? Welche neuen Anforderungen sind hinzugekommen? „Löten und Schweißen müssen Verfahrensmechaniker in der Glastechnik schon lange nicht mehr können“, sagt Esen. Und auch das Wechseln von Maschinenteilen wie die Scherenkurve, um die Geschwindigkeit der Maschine zu bestimmen, ist keine Handarbeit mehr und wird längst per Computer gesteuert. Solche Veränderungen in der Praxis müssen in den Ausbildungsrichtlinien entsprechend angepasst werden, immer unter Berücksichtigung der Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten der Auszubildenden.
Die sind keine homogene Gruppe, weder hinsichtlich ihrer individuellen Voraussetzungen noch in Bezug auf ihre schulische Bildung. Die Ausbildungsordnung muss jedoch allen gerecht werden. „Wir Gewerkschafter achten darauf, dass die neuen Ausbildungsstandards den aktuellen Anforderungen des Arbeitsmarkts entsprechen, aber auch nicht übertrieben hochgeschraubt werden, wie es manche Arbeitgeber fordern“, sagt Esen. Eine Gratwanderung, denn „die Ansprüche dürfen auch nicht zu niedrig sein“, ergänzt er.
Die Schulungen im Bereich der Metallgrundbearbeitung sind auch zukünftig Bestandteil der neuen Ausbildungsordnung. Sie sorgen dafür, dass handwerkliche Basistechniken wie Feilen, Anreißen, Körnen oder Bohren nicht auf der Strecke bleiben. Eine „sehr sinnvolle Entscheidung“, meint Ayhan Esen, auch mit Blick auf die zwölf Auszubildenden bei Noelle + von Campe. „Schließlich ist in Zeiten des allgegenwärtigen Smartphones nicht mehr davon auszugehen, dass junge Leute handwerkliche Grundfertigkeiten mitbringen. Anders als wir früher schrauben sie heute schließlich kaum noch an Mofas und Fahrrädern rum“, sagt Esen, der gewerkschaftlich auf vielen Feldern mitmischt.
Er engagiert sich als Vertrauensmann, ist Mitglied der betrieblichen Tarifkommission und seit Mai 2023 auch Betriebsratsvorsitzender mit viel Verständnis für junge Menschen – nicht nur im Beruf. Mit seiner Lebensgefährtin kümmert er sich um sieben Kinder, die beide mit in ihre Patchworkfamilie gebracht haben. Viel Zeit für Hobbys wie Motorradfahren im Weserbergland bleibt da nicht.