Interview

Dezember 2024 | Januar 2025

Foto: Marcus Schwetasch

„Das ist bombastisch!“

Zur Person:

Der gelernte Chemielaborant Ramon Jüngling (53) ist am Standort Ludwigshafen Betriebsratsvorsitzender bei Sun Chemical, einem US-amerikanischen Zulieferer der grafischen Industrie.

Der Mitgliedervorteil aus dem jüngsten Tarifabschluss der Chemiebranche kommt bei den Beschäftigten gut an. Das berichtet Ramon Jüngling, Betriebsratsvorsitzender bei Sun Chemical Colors & Effects in Ludwigshafen und Mitglied der regionalen Tarifkommission Rheinland-Pfalz der IGBCE. Im Interview mit Andreas Schulte spricht er außerdem über die anhaltende Euphorie, über neue Möglichkeiten zur Mitgliedergewinnung und warum er dabei nicht mit der Tür ins Haus fällt.

Ramon, welche Rückmeldungen aus der Belegschaft erhältst du auf den Tarifabschluss 2024 in der Chemiebranche?

Ich muss sagen: Ich habe noch nie ein so ungeteilt gutes Echo erhalten.

Wie kommt das?

Das liegt in erster Linie daran, dass wir unsere drei Hauptforderungen fast uneingeschränkt durchsetzen konnten. 6,85 Prozent mehr Lohn sind ganz knapp an den ursprünglich geforderten sieben Prozent. Und wir haben erstmals in einem Flächentarifvertrag einen Mitgliedervorteil erstritten. Das ist ein bombastischer Erfolg. Wichtig ist dabei auch, dass wir eine einfache und verständliche Lösung gefunden haben. Denn ob Beschäftigte in vollkontinuierlicher Wechselschicht, Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte oder auch Azubis – alle erhalten einen freien Tag, bemessen an der individuellen Dauer ihres Arbeitstages. Und, auch das ist ein Erfolg in dieser Tarifrunde, wir gehen endlich die Reform des Bundesentgelttarifvertrags (BETV) an. Der stammt noch aus den Achtzigerjahren und regelt insbesondere die Eingruppierung der Beschäftigten. Von acht Themenfeldern, die zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart wurden, sind bereits zwei umgesetzt. Die Kollegen und Kolleginnen sehen: Es wird geliefert.

Was sind die konkreten Auswirkungen?

Zum einen haben Mitglieder der IGBCE damit einen freien Tag im Jahr mehr. Zum anderen kommen nach der ersten Lohnsteigerung im vergangenen September nun im April noch einmal 4,85 Prozent hinzu. So mancher kann sich durch das Plus von insgesamt 6,85 Prozent über mehrere Hundert Euro brutto mehr monatlich freuen. Viele Kolleginnen und Kollegen scheinen das gar nicht fassen zu können. Das bringen sie immer wieder in Gesprächen mit uns zum Ausdruck.

Ein älterer Kollege rief uns an und wollte für vier Jubiläen rückwirkend gleich vier Tage frei haben.

Ramon Jüngling

Vor allem der Mitgliedervorteil von einem freien Tag kommt gut an?

Ja. Viele sind jahrzehntelang in der IGBCE. Sie engagieren sich und zahlen Beiträge. Aber sämtliche tariflichen Vergünstigungen, die die IGBCE erstreitet, erhielten bislang alle Beschäftigten. In den Augen vieler sind Nichtmitglieder Trittbrettfahrer. Der erstmalige Mitgliedervorteil zeigt ab sofort: Wer weiterhin mitfahren will, muss sich auch engagieren. Unabhängig davon ist die Freude über den freien Tag riesengroß, zumal es einen zweiten Tag frei gibt, wenn ein Kollege sein 10., 25., 40. oder 50. Mitgliedsjubiläum feiert. Willst du eine Anekdote hören?

Unbedingt!

Ein älterer Kollege rief uns an und wollte für vier Jubiläen rückwirkend gleich vier Tage frei haben. Aber die Regelung gilt natürlich erst ab 2025. Wir glauben, er wollte nur scherzen. Die Geschichte zeigt dennoch, welch gute Stimmung der Mitgliederbonus erzeugt.

Lässt sich die Euphorie nutzen, um mehr Kollegen und Kolleginnen für die IGBCE zu gewinnen?

Grundsätzlich ja, sehr gut sogar. Der Tarifabschluss hat ein großes überregionales Medienecho hervorgerufen. Dies hat bundesweit bereits zu einer Eintrittswelle geführt.

Auch bei euch im Betrieb?

Bei uns ist es schwieriger. Unser Organisationsgrad ist bereits sehr hoch. Die gewerkschaftlichen Strukturen sind bei den über 900 Standort-Beschäftigten von Sun Chemical Colors & Effects sehr klar wahrnehmbar. Salopp formuliert haben wir eine Art Sättigungsgrad erreicht. Die wenigen, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind, lassen sich nur in kleinen Schritten überzeugen.

Die meisten sehen sehr wohl, was Betriebsräte und die IGBCE leisten und erkennen dies an – auch die Außertariflichen.

Ramon Jüngling

Wie versucht ihr es?

In vielen Gesprächen. Aber ich verfahre nach dem Motto: „Überzeugen, nicht überreden.“ Wir sind Betriebsräte. Wir lösen zunächst einmal Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen. Erst wenn ein Konflikt gelöst ist, mache ich darauf aufmerksam, dass nur eine starke Gewerkschaft die nötige Rückendeckung zur Konfliktfähigkeit von Arbeitnehmervertretungen bietet. Dann sage ich: „Denk doch mal über einen Eintritt nach. Ihr seht ja den erfolgreichen jüngsten Abschluss.“ Das wird dann auch gemacht. Die meisten sehen sehr wohl, was Betriebsräte und die IGBCE leisten und erkennen dies an auch die Außertariflichen. Aber es ist nicht so, dass bei jeder Beratung die Gewerkschaft ins Spiel kommt. Viele kommen zu uns und wollen nur einmal Dampf ablassen, wenn sie im Arbeitsalltag Stress haben. Das können sie bei uns besser als zuhause, weil wir ein besseres Verständnis für betriebliche Abläufe haben als der Partner daheim.

Wer in den Genuss des Mitgliederbonus kommen will, muss sich als Gewerkschaftsmitglied outen. Gab es bei euch Bedenken wegen des Datenschutzes?

Bei uns ist der Organisationsgrad so hoch, dass der Arbeitgeber ohnehin davon ausgehen kann, dass er es im Zweifel mit einem Gewerkschaftsmitglied zu tun hat. Bei uns hat keiner Angst davor, dass der Arbeitgeber um die Mitgliedschaft weiß. Deshalb sehe ich da kein Problem. Ich wüsste auch nicht, dass bei uns ein Gewerkschafter aufgrund seiner Mitgliedschaft einmal Nachteile gehabt hätte. Das mag allerdings in kleineren Betrieben ein Thema sein. Aber für diesen Fall haben IGBCE und Arbeitgeberverband ja eine Verfahrensvereinbarung getroffen, die Beschäftigten und Unternehmen eine rechtssichere und einheitliche Geltendmachung und Abwicklung des Anspruchs ­ermöglicht.

Für den Mitgliederbonus jetzt registrieren!

Um den Mitgliedervorteil zu erhalten, müssen Beschäftigte ihre IGBCE-Mitgliedschaft gegenüber dem Arbeitgeber nachweisen. Den Nachweis können sie jeweils ab dem 1. Januar für das Kalenderjahr im Mitgliederbereich auf der IGBCE-Website downloaden. Das funktioniert allerdings nur bei registrierten Mitgliedern. Wer sich noch nicht angemeldet hat, sollte dies hier dringend nachholen.