Darf der Arbeitgeber Kranke besuchen?
Der Fall Tesla erregt die Gemüter: Der Autohersteller hatte wegen eines hohen Krankenstands Beschäftigte seines Werks in Grünheide zu Hause besuchen lassen. Das hat eine öffentliche Debatte entfacht. Wie sollten Betriebsräte mit dem Thema Krankenstand umgehen? Bernd Kupilas fasst zusammen.
Bundesarbeitsgericht
Das höchste deutsche Arbeitsgericht hat schon 1982 entschieden, dass Arbeitnehmer keine außerprozessuale Auskunftspflicht über ihren Gesundheitszustand haben. Urteil vom 25.11.1982 – 2 AZR 140/81.
Sozialgesetzbuch
Die Regelungen zur Einschaltung des Medizinischen Dienstes sind in § 275 SGB V festgelegt.
Betriebsverfassungsgesetz
Der Betriebsrat hat über § 80 Abs. 1 Nr. 1 über die Einhaltung der Gesetze und Verordnungen zu wachen, wozu auch die Vorschriften aus dem Arbeits- und Gesundheitsschutz gehören und in § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG die allgemeine Aufgabe, den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu fördern.
Betriebsverfassungsgesetz
In § 87 Abs.1 Nr. 1 heißt es, dass der Betriebsrat „in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb“ mitzubestimmen hat, und zwar „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“. Rückkehrgespräche sind gesetzlich nicht geregelt, und sie betreffen die Ordnung des Betriebs (BAG 8.11.1994 – 1 ABR 22/94).
Universität Köln
Schon 2022 hat eine Studie der Universität Köln herausgefunden, dass Rückkehrgespräche missbraucht werden können und dann letztendlich auch für den Arbeitgeber kontraproduktiv sind. Weitere Infos.
Sozialgesetzbuch
Die Grundsätze des BEM sind in § 84 Abs. 2 SGB IX festgelegt.
Bundesarbeitsgericht
BAG 7.9.2021 – 9 AZR 571/20 – NZA-RR 2022, 161
Was der Arbeitgeber darf …
Prinzipiell darf der Arbeitgeber krankgemeldete Beschäftigte anrufen oder auch aufsuchen. Solche Nachforschungen „kann dem Arbeitgeber erst mal niemand verbieten“, sagt Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung/Aufsichtsratsrecht beim IGBCE-Hauptvorstand in Hannover. Allerdings müssen dann schon erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Und: Betroffene Beschäftigte müssen weder solche Anrufe annehmen noch dem Vorgesetzten die Haustür öffnen. 1 Die Frage sei, betont Grüneberg: Was sollen die Besuche oder Anrufe bringen? Vorgebliche Beweise, die sich auf diese Art sammeln lassen, haben oft wenig Aussagekraft. Grüneberg nennt ein Beispiel: „Wenn jemand auf den sozialen Medien Bilder von der See postet, bedeutet das nicht, dass er oder sie arbeitsfähig ist. Bei einigen Erkrankungen können ja zum Beispiel ein paar Tage an der See durchaus förderlich sein.“
Was also sollen Verdächtigungen bringen – außer dass sie zusätzlichen Druck ausüben?, argumentiert Grüneberg. Und dieser Druck trifft nicht nur vermeintliche oder tatsächliche Drückeberger – sondern alle Beschäftigten. „In der Konsequenz führt ein solches Verhalten des Arbeitgebers zu einem Klima der Angst. Es besteht die Gefahr, dass sich Beschäftigte nicht mehr trauen, sich krankzumelden und sich krank zur Arbeit schleppen.“ Arbeitgeber bedienen gern klassische Ressentiments, denen gerade Betriebsräte nicht auf den Leim gehen sollten. „Arbeitgeber argumentieren argwöhnisch damit, dass die Zahl der Krankheiten an Montagen besonders hoch sei“, erklärt Peter Voigt, Justiziar der IGBCE, „aber das ist nur logisch, denn vor dem Montag liegen zwei Tage, an denen die Arztpraxen nicht geöffnet waren.“ Wenn Arbeitgeber tatsächlich berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Beschäftigten haben, müssen sie nicht hinterherspionieren – sie können über die Krankenkasse den Medizinischen Dienst einschalten lassen. 2
… und was der Arbeitgeber sollte
Im Sinne eines vernünftigen Gesundheitsmanagements sind solche Besuche oder andere Aufdringlichkeiten des Arbeitgebers also nicht, betont Jan Grüneberg. Betriebsräte sollten sich in solchen Fällen auf keinen Fall zum Handlanger des Arbeitgebers machen. Sie sollten stattdessen auf ein systematisches Gesundheitsmanagement drängen. Hier kommen Betriebsräte ins Spiel. Arbeits- und Gesundheitsschutz ist ihre ureigenste Aufgabe, so ist es im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt.3 Es ist deshalb die Aufgabe von Betriebsräten, möglichen betrieblichen Gründen für eine erhöhte Krankenquote auf den Grund zu gehen und diese abzustellen.
Sind Rückkehrgespräche sinnvoll?
Spitzeleien wie bei Tesla sind jedoch eher die Ausnahme und bergen auch für Arbeitgeber viele Risiken, zum Beispiel datenschutzrechtlich. Was allerdings immer noch weit verbreitet ist, sind Krankenrückkehrgespräche. „Regelungen zu solchen Gesprächen gibt es in zahlreichen Unternehmen“, betont Grüneberg, bisweilen gibt es auch Betriebsvereinbarungen zu dieser Praxis. In jedem Fall hat der Betriebsrat hierbei Mitbestimmungsrecht aus Paragraf 87 Absatz 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes. 4 Danach hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das heißt, Rückkehrgespräche sind nur mit Zustimmung des Betriebsrats möglich. In jedem Fall sollten sie auf ein paar Regeln drängen: In den Gesprächen sollte es darum gehen, betriebliche Gründe für die Arbeitsunfähigkeit zu eruieren: So kann im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung geprüft werden, welche Faktoren noch nicht hinreichend berücksichtigt wurden, zum Beispiel die Arbeitszeiten und die Organisation der Arbeitsaufgaben et cetera. Beschäftigte sollten sich auf das Gespräch vorbereiten und ein Mitglied des Betriebsrats oder der Schwerbehindertenvertretung mitnehmen können. Und schließlich sollte festgehalten sein, dass Fragen nach dem Gesundheitszustand unterbleiben, Beschäftigte auch die Diagnose nicht nennen müssen und dass das Gespräch keine personellen Maßnahmen zur Konsequenz haben wird.
Rückkehrgespräche sind generell kritisch zu bewerten, sagen die IGBCE-Fachleute. Oft genug dienen sie einzig und allein dazu, eine Kündigung vorzubereiten, und nicht selten sind sie kontraproduktiv. 5 IGBCE-Rechtsexperte Jan Grüneberg nennt ein Beispiel aus der Praxis: In einer Betriebsvereinbarung war festgelegt, dass der jeweilige Vorgesetzte das Rückkehrgespräch führt und für diese Gespräche geschult wird. „Schön und gut“, merkt Jan Grüneberg an, „aber was ist, wenn der Vorgesetzte der Grund für die Arbeitsunfähigkeit ist? Wenn er derjenige ist, der mich durch schlechte Führung krank macht?“
Fazit: Das Mittel des Rückkehrgesprächs ist fragwürdig und veraltet. Solche Gespräche vergiften das Miteinander und schaffen eine Kultur des Misstrauens und somit zusätzlichen, negativen psychomentalen Druck. Deshalb sollten Betriebsräte sich am besten gar nicht auf diese Form des vermeintlichen Gesundheitsmanagements einlassen. Es gibt da etwas Besseres.
Der Königsweg ist das BEM
Seit 2004 gibt es das Mittel des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Es wurde geschaffen, um Beschäftigten einen Weg zurück in den Berufsalltag zu eröffnen – und zwar in einem organisierten Prozess, der ihre Bedürfnisse berücksichtigt.6 Betriebsräte sollten deshalb darauf drängen, eine Vereinbarung zum BEM abzuschließen, statt eine zu Rückkehrgesprächen. Das BEM hat etliche Vorteile. So ist der Datenschutz gewährleistet, und es ist auch immer ein Arzt einbezogen – Betroffene haben also Zugang zu jemandem, dem sie vertrauen können. „Das BEM ist eine vernünftige gesetzliche Alternative, es funktioniert völlig anders als Rückkehrgespräche“, betont Jan Grüneberg. „Hier geht es um Vertrauen, nicht um Misstrauen.“
Wie wichtig es ist, dass sich Betriebsräte um die Ausgestaltung eines BEM kümmern, zeigt eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Demnach können Beschäftigte kein BEM einfordern, wenn es in ihrem Betrieb keine Betriebsvereinbarung dazu gibt. 7 Eine Analyse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin von 2018 hat gezeigt: Weniger als 40 Prozent aller berechtigten Beschäftigten wird ein BEM angeboten. Die gleiche Erhebung zeigt aber auch: Dort, wo es angeboten wird, wird es auch gut genutzt. Denn 70 Prozent der berechtigten Beschäftigten nehmen dieses Angebot an. Bisher haben Arbeitgeber keine gesesetzliche Pflicht, ein BEM anzubieten. „Umso wichtiger ist es“, sagt Experte Jan Grüneberg, „dass Betriebsräte sich darum kümmern und die gesundheitsfördernden Maßnahmen des BEM im Betrieb einführen.“
Du hast Fragen?
Die IGBCE bietet eine digitale Sprechstunde rund um das Thema Krankenstand und was dabei für die Betriebsratsarbeit wichtig ist an. Die IGBCE-Rechtsexperten Jan Grüneberg und Peter Voigt beantworten dazu am 16. Januar 2025 von 11 bis 12 Uhr Fragen. Interessierte müssen sich im Vorfeld per E-Mail an sprechstunde@igbce.de anmelden. Sie erhalten dann einen Teilnahmelink zur Sprechstunde. Fragen, die dort geklärt werden sollen, können nach Anmeldung an die angegebene E-Mail-Adresse geschickt werden.