Interview

Juni | Juli 2024

„Wir gaben ihnen Seven Up, sie bevorzugten Coke Zero“

Foto: Hubert Jelinek

Zur Person:

Britta Sorge (40) ist Industriekauffrau und seit 14 Jahren Betriebsrätin beim Chemiekonzern Evonik in Marl. Als IGBCE-Tarifkommissionsmitglied hat sie im Mai erstmals an den Verhandlungen mit den Arbeitgebern im engsten Kreis teilgenommen.

Wie fühlt es sich an, im engsten Kreis am Verhandlungstisch den Arbeitgebern gegenüber zu sitzen und für 585.000 Beschäftigte der Chemieindustrie um Prozente zu kämpfen? Britta Sorge war erstmals mittendrin. Im Interview spricht die Evonik-Betriebsrätin mit Andreas Schulte über ihr Debüt als Mitglied der IGBCE-Tarifkommission, den Verlauf der ersten Verhandlungsrunde auf Bundesebene und über Frotzeleien unter Sozialpartnern.

Die Tarifrunde am 14. Mai ist ohne große Annäherung zu Ende gegangen.
Wie fällt dein Fazit aus?

Wie befürchtet wurde uns von Arbeitgeberseite kein Angebot vorgelegt. Dennoch bin ich zuversichtlich für die nächste Runde. Die Arbeitgeber haben signalisiert, dass sie bereit sind, sich in Fragen des Bundesentgelttarifvertrags (BETV) zu bewegen. Um unsere Ziele – Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und siebenprozentiges Lohnplus zu erreichen, müssen wir dagegen noch ordentlich Überzeugungsarbeit leisten und dicke Bretter bohren.

Warum sind ausgerechnet diese drei Themen entscheidend für euch?

Die sieben Prozent bedeuten nichts anderes als eine Rückkehr zum Status quo bei den Reallöhnen. Mindestens das haben die Kollegen und Kolleginnen verdient. Eine Besserstellung von Mitgliedern ist längst überfällig etwa über mehr Freizeit oder eine bessere soziale Absicherung. Denn ein Gewerkschaftsbeitrag finanziert und organisiert Solidarität und Partnerschaft im Betrieb. Von einer so gestalteten Sozialpartnerschaft profitieren auch die Arbeitgeber. Und der veraltete BETV schließlich ist von der Praxis überholt und hat logische Brüche: Er führt zu Ungerechtigkeiten, etwa bei der Eingruppierung nach der Ausbildung. Umgruppierungen bedeuten nicht zwingend direkt mehr Entgelt und in den unteren Entgeltgruppen gibt es zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten, weil Erfahrungsstufen fehlen. Das muss zwingend korrigiert werden, wenn unser BETV und damit auch unsere Unternehmen auch zukünftig attraktiv sein sollen.

Für dich persönlich war es die erste Tarifverhandlung.
Hattest du dir den Verlauf in etwa so vorgestellt?

Die Arbeitgeber hatten im Vorfeld lange gemauert. Ich hätte gedacht, von ihnen wären spätestens jetzt konkrete Vorschläge gekommen. Ein Kollege meinte zutreffend, die hätten sich einbetoniert. Statt auf unsere Forderungen einzugehen, haben sie schon wieder nur die wirtschaftliche Lage beklagt und von einem benötigten Krisenabschluss gesprochen. Das kannten wir schon aus den Regionalverhandlungen. Jetzt haben sie sogar eine strukturelle Krise heraufbeschworen. Die haben regelrecht gejammert. Dabei zeigen Quartalszahlen, dass es in der Branche aufwärts geht.

Manchmal muss der Ton auch rauer werden. Aber insgesamt war es freundlich und nie unter der Gürtellinie teilweise sogar mit einer guten Prise Humor.

Britta Sorge

Wie hast du als Neuling in der Tarifverhandlung die Stimmung empfunden?

Probleme würde ich so nicht sagen. Aber ich habe das Gefühl, dass es unter unseren Beschäftigten durchaus einige gibt, die demokratiefeindlichen Ideologien nicht abgeneigt sind und daraus auch keinen Hehl mehr machen. Mit zunehmender Tendenz.

Wie bekommst du als Betriebsrat das mit?

In der ersten Runde war es ein gegenseitiges Beschnuppern. Wir haben dennoch an vielen Stellen unsere Haltung klar und deutlich kommuniziert. Manchmal muss der Ton auch rauer werden. Aber insgesamt war es freundlich und nie unter der Gürtellinie teilweise sogar mit einer guten Prise Humor.

Was meinst du?

Wir hatten den Arbeitgebern beispielsweise eine Limo der Marke Seven up auf die Tische gestellt, als Sinnbild für unsere Forderung von sieben Prozent mehr Lohn. Eine gute Idee, wie ich finde. Aber die Arbeitgeber haben auch gut gekontert, indem sie sagten, sie bevorzugten Coke Zero.

Warst du vor und während der Verhandlungen nervös?

Klar, man weiß ja als Neuling in der Achter-Kommission noch nicht, was auf einen zukommt. Diese Kommission ist die kleinste Runde, die mit den Arbeitgebern verhandelt. Aber wir haben uns intern am Vorabend der Verhandlungen und am Morgen hier am Ort in Teistungen getroffen und unsere Vorgehensweise besprochen. Das gibt dann doch schon ein gutes Stück Sicherheit. Zudem findet man sich als Team. Spätestens nach der Besprechung am Morgen war meine Nervosität verflogen.

In den internen Beratungsrunden herrscht eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre, aus denen man emotional gestärkt hinausgeht.

Britta Sorge

Konntest du dich schon einbringen?

Ja, in den internen Beratungsrunden zwischen den Verhandlungen. Dort herrscht eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre, aus denen man emotional gestärkt in die Runden mit den Arbeitgebern hinausgeht. In den Verhandlungen selbst habe ich mich noch zurückgehalten. Ich beobachte lieber erst und komme dann mit entsprechender Sicherheit in der Sache aus der Deckung. Aber ich habe mir doch manches Mal auf die Zunge gebissen. Man muss nicht bei jedem Detail in die Diskussion eingreifen. Manchmal ist das zügige Vorankommen der Verhandlungen wichtiger.

Hast du dich auch persönlich vorbereitet?

Ja, das gehört natürlich dazu, dass man inhaltlich auf der Höhe ist. Ich bin seit dem Jahr 2010 Betriebsrätin bei Evonik in Marl und seither mit Fragen rund ums Entgelt vertraut. Und insofern habe ich den Anspruch an mich, Entgeltfragen von der betrieblichen Ebene auf die bundesweite Tarifebene zu übertragen. Deshalb war ich besonders neugierig auf mein Debüt bei den Verhandlungen.

Verfolgt ihr im Betriebsrat eine gemeinsame Strategie gegen rechte Parolen?

Bislang leider nicht. Ich denke, es gibt auch unter Betriebsräten Kollegen, die sich nicht ganz so stark von rechten Ideologien abgrenzen und gegen demokratiefeindliche Äußerungen positionieren. Trotzdem verfolgen wir gemeinsam die Vision des Konzerns, sich für eine Kultur der Vielfalt und Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe einzusetzen.

Viele Kolleginnen und Kollegen orientieren sich an Abschlüssen anderer Gewerkschaften, die aber oft nicht mit unserer Branche zu vergleichen sind.

Britta Sorge

Welche Forderungen wurden dir denn vor der Tarifrunde aus den Betrieben gespiegelt?

Das ist nicht einheitlich zu beantworten, weil die Betriebslandschaft sehr unterschiedlich ist und damit auch ihre wirtschaftliche Lage. Fakt ist aber, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen auch an Abschlüssen anderer Gewerkschaften orientieren, die aber oft nicht mit unserer Branche zu vergleichen sind. Da entstehen Forderungen, die nicht zu erfüllen sind. Trotzdem sind solche Schilderungen maximal wertvoll. Mit ihrer Hilfe verdeutlichen wir den Arbeitgebern, welche Stimmung herrscht, und dass der Ton in den Betrieben rauer wird. Fakt ist aber auch, dass sich viele von uns ungerecht behandelt fühlen, weil die Einkommen von Vorständen deutlich schneller wachsen als die der Belegschaft übrigens auch in Betrieben, denen es weniger gut geht.

Was hast du dir für die kommenden Runden vorgenommen?

Ich werde meinen Wortanteil erhöhen. Der BETV ist mein tägliches Brot, und ich kann mit vielen Praxisbeispielen – nicht nur von Evonik – unsere Forderungen für diesen Bereich untermauern. Es ist wichtig zu zeigen, dass es sich hier nicht um Einzelbeispiele handelt, sondern um ein Problem, das die gesamte Branche betrifft.

Aktuelle Infos zur Chemie-Tarifrunde findest du hier: Chemie-Tarifrunde 2024