Recht

Juni | Juli 2024

Darf es in Präsenz sein?

Betriebsratsmitglieder haben Anspruch auf Schulungen. Aber auf welche? Über diese Frage kommt es immer wieder zu Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Der jüngste Trend: Arbeitgeber drängen zur Teilnahme an Onlineseminaren dann brauchen sie keine Kosten für Hotel, Verpflegung und Reise übernehmen. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Streitfrage jetzt grundsätzlich entschieden. Bernd Kupilas fasst zusammen.

Bundesarbeitsgericht

Beschluss vom 7.2.2024 7 ABR 8/23 – Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2022 – 8 TaBV 59/21

Betriebsverfassungsgesetz

Die zentralen Normen sind hier der § 37 Absatz 6 sowie der Absatz 7.

Arbeitsgericht Aachen

Urteil vom 31.8.2023 1 Ca 1281/23

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Urteil vom 22.7.2009 3 TaBV 13/09

Betriebsverfassungsgesetz

Die Kostenübernahme ist in § 40 geregelt.

Bundesarbeitsgericht

Urteil vom 23.6.2010, BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 103/08 – NZA 2010, 1298. Urteil vom 23.6.2010, BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 103/08 – NZA 2010, 1298

Betriebsverfassungsgesetz

Paragraf 37 Absatz 7 regelt die Teilnahme an „Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die von der zuständigen obersten Arbeitsbehörde des Landes nach Beratung mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände als geeignet anerkannt sind“.

Das Gericht entschied: Ein Betriebsrat darf seine Mitglieder zu Präsenzseminaren entsenden – selbst dann, wenn ein inhaltsgleiches Seminar vom selben Anbieter auch als Webinar angeboten wird. Der Betriebsrat habe „einen gewissen Spielraum“ in der Frage, zu welchem Seminar er seine Mitglieder schicke, teilte das Gericht mit. Und dieser Spielraum „umfasst auch das Schulungsformat“. Das Kostenargument der Arbeitgeberin ließ das Gericht nicht gelten. Die höheren Kosten, die bei einem Seminar in Präsenz nun mal anfielen, sprächen einer Entsendung „nicht von vornherein entgegen“. 1 Geklagt hatte eine Fluggesellschaft gegen ihre Personalvertretung und vor allen Instanzen verloren. Jetzt wurde auch die Beschwerde vor dem obersten deutschen Arbeitsgericht zurückgewiesen.

Die IGBCE fühlt sich durch den wegweisenden Beschluss in ihrer Auffassung bestätigt, sagt Peter Voigt, Leiter der Abteilung Justiziariat/Rechtspolitik/Rechtsschutz in der Hauptverwaltung in Hannover. „Das Bundesarbeitsgericht hat hier die Rechte der Betriebsräte in einer wichtigen aktuellen Frage gestärkt“, sagt er. Schulung nur online oder in Präsenz – dieser Streitpunkt trete auch in Betrieben im Organisationsbereich der IGBCE in jüngster Vergangenheit auf. „Auch wenn es bei uns dazu noch nicht zu großen rechtlichen Auseinandersetzungen gekommen ist, merken wir doch: Arbeitgeber sprechen das Thema vermehrt an und drängen ihre Betriebsräte zu Onlineseminaren.“ Was freilich in Zeiten der Coronapandemie sinnvoll gewesen sein mag, kann auf Dauer nicht der Standard sein. „Gerade für die Arbeit von gewerkschaftlichen Betriebsratsmitgliedern ist der persönliche Kontakt, das Netzwerken über Unternehmensgrenzen hinaus sinnvoll, notwendig, wenn nicht sogar erforderlich.“

Was heißt erforderlich?

Mit dem Stichwort „erforderlich“ spielt IGBCE-Experte Voigt auf die Rechtsgrundlage an. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt in Paragraf 37 Absatz 6: Betriebsratsmitglieder haben Anspruch auf Schulungen, „soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind“. 2

Anders ausgedrückt: Betriebsräte dürfen ihre Mitglieder auf Schulungen schicken, die ihnen Wissen vermitteln, das sie für ihre Betriebsratstätigkeit benötigen. Etliche Fragen sind unumstritten: Alle Betriebsratsmitglieder brauchen zum Beispiel das Wissen aus den Grundlagenseminaren zu Betriebsverfassung, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz.

Wo es über die Grundlagen hinausgeht, wird es komplizierter. Der Seminarinhalt muss zum Betrieb passen, er muss Probleme behandeln, die sich im Betrieb tatsächlich stellen. So scheiterte jüngst der Betriebsrat eines kleineren Betriebs mit einer Klage, weil das Gremium ein Mitglied zu einem Spezialseminar über das neue Lieferkettengesetz entsenden wollte. Das Gesetz gilt aber zunächst nur für Unternehmen ab 3000 Beschäftigten, der betreffende Betrieb war deutlich kleiner. 3 Schließlich gilt noch: Der Betriebsrat muss die passenden Leute entsenden. Für eine Betriebsratsvorsitzende kann ein Führungsseminar erforderlich sein, wie ein Gericht schon mal urteilte, für ein Ersatzmitglied wohl eher nicht. 4

Wer zahlt?

Ist ein Seminar erforderlich, muss die Arbeitgeberin die Kosten übernehmen, und zwar sowohl die Seminarkosten als auch die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Reise, wobei die Kosten verhältnismäßig sein müssen. 5 Für die Dauer des Seminars muss das Betriebsratsmitglied von seiner Arbeit freigestellt und das Entgelt fortgezahlt werden. Die Zeit für die Anreise wird nicht immer voll als Arbeitszeit angerechnet, dies gilt insbesondere für die Anreise an einem Sonntagabend. Für alleinerziehende Betriebsratsmitglieder muss der Arbeitgeber die Kosten für die Kinderbetreuung während der Zeit des Seminars „in erforderlichem Umfang“ zahlen. 6

Der 7er-Absatz

Neben Seminaren, die „erforderliches Wissen“ vermitteln, können Betriebsratsmitglieder auch zu Seminaren entsandt werden, die „geeignetes Wissen“ vermitteln. Die Teilnahme an solchen Schulungen ist in Absatz 7 des Paragrafen 37 geregelt. 7 Hierbei gilt grob zusammengefasst: Der Arbeitgeber muss das Betriebsratsmitglied für solche Seminare freistellen, muss aber üblicherweise die Aufwendungen nicht ersetzen, also die Kosten für das Seminar, Verpflegung, Unterkunft, Reise. Betriebsratsmitglieder können in einer Amtszeit für insgesamt drei Wochen zur Teilnahme an den betreffenden Seminaren freigestellt werden, neu gewählte Betriebsratsmitglieder für vier Wochen.

Wer entscheidet?

Grundsätzlich kann nicht das einzelne Betriebsratsmitglied entscheiden, welche Seminare es besucht. Die Entscheidung muss das Gremium treffen, ein wirksamer Beschluss ist unbedingt erforderlich – die Betonung liegt hier auf wirksam. „Bei Beschlussfassungen zu Seminarteilnahmen ist es wichtig, dass der Betriebsrat sauber arbeitet“, betont Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung der IGBCE. Ein Beispiel: Der Betriebsrat beschließt, das Mitglied Holger K. zu einem bestimmten Grundlagenseminar bei der BWS zu entsenden. Holger K. merkt bei der Anmeldung: Das herausgesuchte Seminar ist schon voll belegt. Eigenständig meldet er sich zu dem inhaltlich gleichen BWS-Seminar sechs Wochen später an, ohne dass der Betriebsrat einen erneuten Beschluss für die Entsendung zu genau diesem Seminar fasst. „Gerade solche Formfehler nutzen Arbeitgeber gerne, um Kostenübernahme und Freistellung zu verweigern“, sagt Jan Grüneberg. Wichtig: Damit ein Beschluss zur Seminarentsendung wirksam ist, muss er als eigener Tagesordnungspunkt der Betriebsratssitzung aufgeführt werden. Ein Beschluss kann nach der Schulung nicht nachgeholt werden.

Im Streitfall vor Gericht

Gibt es zwischen den Betriebsparteien Streit, können beide Seiten die Arbeitsgerichte anrufen. Hat der Betriebsrat erst einmal den wirksamen Beschluss gefasst, ein Mitglied zu entsenden, ist ein individualrechtlicher Anspruch entstanden stellt der Arbeitgeber sich quer, kann das einzelne Mitglied klagen, gegebenenfalls mit Unterstützung des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes. „Eine Klage ist überhaupt nichts Schlimmes“, betont IGBCE-Experte Voigt, „oft genug gewinnen wir sie. Und geht eine Klage mal verloren, hat man wenigstens Rechtssicherheit.“