Recht

Februar | März 2024

Der digitale gelbe Schein

Neuerdings gilt: Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung flattert digital ins Postfach des Arbeitgebers. Klingt gut und einfach, ist es aber nicht immer. Was Betriebsräte beachten müssen, worauf sie ihre Belegschaft hinweisen sollten und was in Betriebsvereinbarungen zur Krankmeldung berücksichtigt werden sollte. Ein Überblick von Bernd Kupilas.

Entgeltfortzahlungsgesetz

Die Pflichten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind in Paragraf 5 EntgeltFG festgelegt.

Entgeltfortzahlungsgesetz

Die Ausnahmen sind in Paragraf 5 Absatz 1a EntgeltFG niedergeschrieben.

Betriebs­verfassungsgesetz

Die Rechte des Betriebsrats sind in Paragraf 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG geregelt (Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen)

Entgeltfortzahlungsgesetz

Paragraf 5 Absatz 1 besagt: Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.

Bislang ließ sich die rechtliche Lage in Sachen Krankmeldung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in wenigen Worten zusammenfassen: Am ersten Tag beim Arbeitgeber anrufen, dann nach spätestens drei Tagen einen gelben Zettel einreichen. Mit der Einführung der digitalen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist die rechtliche Lage ein bisschen komplizierter geworden – das ganze Verfahren einer Krankmeldung hingegen grundsätzlich wesentlich einfacher. Mittlerweile sollte die Neuregelung auch in der Praxis flächendeckend funktionieren, auch wenn es hier und da noch Anlaufschwierigkeiten in Arztpraxen geben kann: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen keinen gelben Zettel mehr abgeben. Vielmehr reicht der Arzt die Bescheinigung bei der Krankenkasse ein. Die Krankenkasse leitet die Daten zur Arbeitsunfähigkeit digital weiter, inklusive der Angabe, wie lange sie voraussichtlich dauern wird. Arbeitgeber haben sich dann selbst zu informieren und können diese Angaben in einem Portal abrufen. Auch Folgebescheinigungen hat der Arbeitgeber fortan digital anzufordern.

Was sich (nicht) geändert hat

Festgelegt ist das Verfahren zur Krankmeldung im Entgeltfortzahlungsgesetz. 1 Darin waren bislang zwei Pflichten für Beschäftigte festgelegt: die Mitteilungspflicht (der Anruf beim Arbeitgeber) und die Nachweispflicht (gelben Schein schicken). Wichtig ist nun: An der Mitteilungspflicht hat sich nichts geändert, betont Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung der IGBCE in Hannover. „Wenn Beschäftigte das nicht beachten, drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen“, also zum Beispiel eine Abmahnung. Sobald man krank wird, muss man dem Arbeitgeber dies wie bisher „unverzüglich“ mitteilen, und zwar „auf dem im Betrieb üblichen Wege“, erklärt Grüneberg, also etwa durch den Anruf beim Meister oder eine E-Mail an die Teamleiterin je nachdem wie es nun mal im eigenen Betrieb gehandhabt wird. Oder wie es womöglich in einer Betriebsvereinbarung dazu festgelegt ist. Immer wieder treten zu der Neuregelung Fragen der Belegschaft auf und „Betriebsräte sollten Beschäftigte auf diese Pflicht hinweisen“, sagt Grüneberg.

Die Nachweispflicht hingegen wurde ersetzt durch eine Feststellungspflicht: Weiterhin bleibt es Pflicht von Beschäftigten, ihre Erkrankung ärztlich feststellen zu lassen, wenn sie länger als drei Tage arbeitsunfähig sind. Kurz zusammengefasst und für die Belegschaft verständlich lautet die Neuregelung: Dich krankmelden musst du (weiterhin), einen gelben Schein einreichen musst du nicht (mehr).

Privatarzt, Auslandseinsatz – die Ausnahmen

Der gelbe Schein also ist tot und doch lebt er weiter: Das neue Verfahren gilt nur für Beschäftigte, die gesetzlich krankenversichert sind. Privat Krankenversicherte müssen weiterhin den üblichen Arbeitsunfähigkeitsnachweis in Form des gelben Scheins einreichen. Auch Minijobber in Privathaushalten sind ausgeschlossen ebenso wie Beschäftigte, die sich von einem rein privat tätigen Arzt behandeln lassen, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. 2 Auch Beschäftigte, die im Ausland tätig sind (zum Beispiel auf Montage), müssen weiterhin einen Nachweis in Papierform erbringen. Für alle anderen gilt: Der herkömmliche Schein ist passé.

Der neue Nachweis

Und doch spielt auch für den Normalfall die Papierform noch eine Rolle: Von ihrem Arzt erhalten erkrankte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Ausdruck, auf dem ihnen die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird, also eine Art Kopie dessen, was die Praxis an die Kasse meldet. Diesen Zettel (üblicherweise leicht rosafarben) müssen die Betroffenen zwar nicht beim Arbeitgeber einreichen aber sie sollten zum einen darauf achten, dass sie ihn tatsächlich vom Arzt erhalten. Und sie sollten ihn sicherheitshalber aufbewahren, um die Arbeitsunfähigkeit im Zweifel nachweisen zu können. Zwar sind Beschäftigte nicht verantwortlich für technische Störungen oder Pannen, aber sie haben natürlich ein hohes Interesse, ihre Arbeitsunfähigkeit im Zweifel nachweisen zu können. Allerdings enthält der rosafarbene Nachweis für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Diagnoseschlüssel, aus dem man die Art der Erkrankung ableiten kann. Diese Daten darf der Arbeitgeber auch bei einer technischen Störung nicht fordern. Kommt es tatsächlich zu einer Panne und hat der Arbeitnehmer den Zettel nicht mehr, sollte man in der Praxis anrufen und den Arzt um Klärung bitten.

Hier kommt der Betriebsrat ins Spiel

Bei Krankheitsdaten handelt es sich um sehr sensible gesundheitliche Daten, die eines besonderen Schutzes bedürfen. Deshalb hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz. 3 Betriebsräte reden zum Beispiel mit bei der Frage, welche Personen Zugang zu diesen sensiblen Daten haben. Was also müssen Betriebsräte beachten? Wichtig ist folgender grundsätzlicher Gedanke, betont Mitbestimmungsexperte Jan Grüneberg: „Die Neuregelung soll abhängig Beschäftigte von Bürokratie entlasten. Sie sollen nicht mehr mit dem Versenden von gelben Scheinen behelligt werden, alles läuft im optimalen Fall digital und völlig automatisch.“ Deshalb sei es wichtig, dass Betriebsräte mittels Betriebsvereinbarung „nicht durch die Hintertür wieder eine Bringschuld der Beschäftigten einführen, die der Gesetzgeber ja gerade abgeschafft hat.“

Vorsicht vor der Hintertür

Dies könnte zum Beispiel überall dort passieren, wo Unternehmen eigene Meldesysteme für den Fall von Arbeitsunfähigkeit betreiben. Betroffene müssen dann zum Beispiel ihre Arbeitsunfähigkeit in eine Computermaske eintragen, und üblicherweise sind die Verpflichtungen dann in einer Betriebsvereinbarung festgelegt. Betriebsräte sollten darauf achten, dass solche Regeln „die Absicht des Gesetzgebers nicht konterkarieren“.

Deshalb: Am Liebsten gar keine Pflicht zur Eintragung in betriebseigene Systeme festlegen. Insbesondere sollten Betriebsräte darauf achten, dass mit betrieblichen Meldesystemen nicht individualrechtliche Konsequenzen verbunden sind, Beschäftigte also zum Beispiel eine Abmahnung riskieren, wenn sie sich nicht in das Meldesystem eintragen. „Eine Ermahnung als Konsequenz reicht“, betont Grüneberg. Häufig werden aber zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe in den Betriebsvereinbarungen verwandt, die die Gefahr von individualrechtlichen Konsequenzen bei Versäumnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöhen.

Am ersten Tag zum Arzt

Auch nach der Neuregelung können Arbeitgeber darauf bestehen, dass Beschäftigte bereits am ersten Tag ihrer Krankheit zum Arzt gehen. 4 Eine solche strengere Regelung ist aber wie schon bisher mitbestimmungspflichtig, wenn diese Verpflichtung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebs gelten soll. Betriebsräte haben auch hier bei der Ausgestaltung der Regeln also ein gehöriges Wort mitzureden. Auch an diesem Mitbestimmungsrecht ändert die Neuregelung nichts.

Du hast Fragen?

Die IGBCE bietet eine digitale Sprechstunde rund um das Thema elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an. Sie findet am 11. März von 13 bis 14 Uhr statt. Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung der IGBCE, und Peter Voigt, Abteilungsleiter Justiziariat Rechtspolitik/Rechtsschutz der IGBCE, werden Fragen beantworten. Deine Fragen kannst du uns bereits vorab per E-Mail an sprechstunde@igbce.de zusenden. Nach erfolgter Anmeldung senden wir dir den Besprechungslink zu.

Rund ums Recht

Weitere interessante Entscheidungen und spannende Urteile aus dem Arbeits- und Sozialrecht findest du auch in „Rund ums Recht“ – einer Publikation der Abteilung Rechtspolitik/Rechtsschutz der IGBCE.

In dieser Ausgabe geht es unter anderem um das Thema Arbeiten im Homeoffice: Ein Arbeitgeber muss beweisen, ob und in welchem Umfang die Arbeitspflicht zu Hause nicht erfüllt wurde. Misslingt dieser Beweis, kann das Gehalt nicht zurückgefordert werden. Außerdem wird beleuchtet, wer die Kosten für eine spezielle Sehhilfe für Bildschirmarbeit zu tragen hat. Im Sozialrecht steht ein Fall zur Anerkennung einer Berufskrankheit im Fokus.

Ab sofort wird dich Rund ums Recht noch stärker über rechtspolitische Entwicklungen informieren. Neu ist auch die Rubrik „Kurioses Rund ums Recht aus anderen Rechtsgebieten“.​​

Rund ums Recht steht hier für Dich zum Download bereit.