Interview

Februar | März 2024

»Das kann nicht so bleiben«

Was kann die IGBCE in den bevorstehenden Tarifrunden erreichen? Michael Vassiliadis äußert sich im Gespräch mit Bernd Kupilas über Tarifpolitik in Zeiten hoher Inflation, die Pflicht der Arbeitgeber und über Mitgliedervorteile per Tarif.

Michael Vassiliadis ist Vorsitzender der IGBCE.

Foto: Stefan Koch

Michael, Deutschland steckt in einer Vielfachkrise, und ausgerechnet jetzt steht eine wichtige Tarifrunde in der Chemieindustrie an. Kann die IGBCE angesichts der Lage Forderungen durchsetzen?

Wir können nicht nur, wir müssen. Und wir werden. Gerade jetzt ist es Zeit für eine selbstbewusste Tarifpolitik. Nach zwei Jahren mit Rekordinflation haben die Menschen dringenden Bedarf nach dauerhaft mehr Geld im Portemonnaie. Dafür werden wir sorgen. Ein Blick auf die Zahlen beweist uns, wie dringend eine ordentliche Erhöhung ist.

Erkläre uns das, bitte!

Wir haben in den vergangenen beiden Jahren mit unserer Tarifpolitik dafür gesorgt, dass die Beschäftigten einigermaßen unbeschadet durch die Phase der Hochinflation gekommen sind. Dank etwa der steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro, die wir fast überall in unseren Branchen in voller Höhe ausgeschöpft haben, konnten wir die schlimmsten Auswirkungen vorübergehend abfangen. Aber klar ist auch: Die steigenden Preise haben die Wohlstandsgewinne für die abhängig Beschäftigten aufgefressen, die Reallöhne sind gesunken. Das kann nicht so bleiben. Die Lohnkurve muss wieder hoch, die Inflationskurve runter. Dann stimmt die Richtung.

Haben wir die Inflation denn schon überwunden?

Wir haben zumindest das Schlimmste hinter uns, aber steigende Preise bleiben für die privaten Haushalte auch dieses Jahr noch ein Problem auch deshalb, weil für Gas- und Fernwärme wieder der normale Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent gilt, der erhöhte CO₂-Preis das Tanken und steigende Netzentgelte den Strom teurer machen. Kurz: Wir müssen die Kaufkraft stärken. Das ist auch wegen der politischen Stimmung dringend geboten.

Wie meinst du das?

Die Menschen in den Betrieben treiben Abstiegsängste um, wie wir das lange nicht erlebt haben. Diesen Ängsten müssen wir ein Signal des Optimismus entgegensetzen. Wir zeigen, dass wir die Krisen überwinden können zum Beispiel mit einer guten Tarifpolitik.

Die Arbeitgeber werden nicht amüsiert sein und argumentieren mit bescheidenen wirtschaftlichen Aussichten ...

Ein halbes Jahr vor einer Tarifrunde bricht bei den Arbeitgebern so eine Art vortariflicher Pessimismus aus, das ist bei denen genetisch bedingt. Die Lage in der Chemie ist sehr unterschiedlich: Die Energieintensiven haben Probleme, aber die konsumnahen Bereiche florieren. Solche Unterschiede sind nichts Ungewöhnliches. Darauf nehmen wir in jeder Tarifrunde Rücksicht. Übrigens scheint Geld für Dividendenzahlungen an die Aktionäre ja offenbar dazusein. Ich finde es richtig, dass die Unternehmen ihre Anteilseigner nicht vergessen. Aber ebenso wenig dürfen sie ihre Beschäftigten vergessen. Die brauchen jetzt auch ihren Anteil – in Form nachhaltiger Tariferhöhungen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Chemie, sondern auch für die Verhandlungen in der Papierindustrie oder in den Energieunternehmen, die 2024 ebenfalls anstehen.

Du schaust also optimistisch auf die bevorstehenden Tarifrunden?

Ja. Wir erleben derzeit vielleicht kein optimales tarifpolitisches Umfeld, aber unterm Strich ein gutes. Da geht was. Wir gehen jedenfalls selbstbewusst in die Auseinandersetzung.

Viele Aktive in der IGBCE fordern Mitgliedervorteile. Geht da auch was?

Wir haben bereits heute rund 150 kleinere Tarifverträge abgeschlossen, die Vorteile für unsere Mitglieder enthalten, zuletzt etwa bei der Leag, wo wir 6000 Euro Sonderzahlung für unsere Leute durchgesetzt haben. Dass sich nun ausgerechnet die Arbeitgeber in der Chemieindustrie gegen solche Mitgliedervorteile wenden, scheint ideologische Gründe zu haben. Anders kann ich mir das nicht erklären. Wir werden jedenfalls nicht ruhen, bis wir Mitgliedervorteile auch in den großen Tarifgebieten durchgesetzt haben.