Urteil und Unheil
Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil zur Betriebsratsverfügung gefällt, das in den Betrieben für Unruhe sorgt. Warum ist dieser Urteilsspruch brisant? Bernd Kupilas fasst zusammen.
Bundesgerichtshof
Entscheidung des BGH im Fall VW vom 10.1.2023, Aktenzeichen: 6 StR 133/22
Strafgesetzbuch
Der Tatbestand der Untreue wird in § 266 StGB behandelt.
Betriebsverfassungsgesetz
Der BGH nimmt Bezug auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
Däubler bezieht sich hier auf § 119 BetrVG: „Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder“
Vergleichsgruppen
Wie bilde ich Vergleichsgruppen? Wie sollte ich diese Vergleichsgruppen dokumentieren? Die IGBCE hat hierzu eine übersichtliche Handlungshilfe erstellt.
Arbeitsgerichtsgesetz
Nach § 54 Abs. 6 Arbeitsgerichtsgesetz kann das Arbeitsgericht einen Güterichter bestimmen.
Der Fall schlägt seit Jahren Wellen: Hat das Management des Volkswagen-Konzerns seinen Betriebsräten zu hohe Verfügungen gewährt? Um diese Frage dreht sich ein Rechtsstreit, der jetzt eine neue Wendung genommen hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in dem Fall eine Entscheidung getroffen, die sich auch auf andere Unternehmen und deren Betriebsräte auswirken könnte. 1 Das Urteil hat im Wesentlichen zwei zentrale Aussagen:
- Wenn Unternehmen einem Betriebsratsmitglied zu viel bezahlen, können sie sich der Untreue schuldig machen. Sie begehen also gegebenenfalls eine Straftat. 2
- Bei der Bemessung des Betriebsrats-Entgelts darf nicht berücksichtigt werden, was man im Betriebsratsamt an Qualifikationen erworben habe. Es kann also zum Beispiel nicht argumentiert werden: Ich habe als Betriebsratsvorsitzender gelernt, wie man ein großes Gremium managt, deshalb muss ich höher eingestuft werden. Stattdessen muss strikt danach geschaut werden: Wie hat sich das Entgelt anderer vergleichbarer Beschäftigter entwickelt? Nur auf solch eine Vergleichsgruppe darf sich eine Entgelterhöhung beziehen. 3
Gerade der erste Punkt lässt in den Unternehmen die Alarmglocken läuten. Mancher Manager sieht sich offenbar schon mit Handschellen aus seinem Vorstandsbüro abgeführt. Der bekannte Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Däubler hält die Reaktion „vieler Unternehmensleitungen für übertrieben“. Schließlich gehe es in dem Urteil um einen sehr speziellen Fall mit hohen Bonuszahlungen. Der Fall VW „hat mit der normalen Realität von Betriebsratsvergütungen nichts, aber auch gar nichts zu tun.“
Dennoch kann es nun passieren, dass Unternehmen wegen des Urteils jetzt auf ihre Betriebsräte zugehen – und Änderungen bei der Vergütung der Betriebsräte verlangen. Ja, manche Unternehmen machten sich ernsthaft Sorgen, schließlich gehe es um einen Straftatbestand, sagt Däubler, „aber andere verwenden das als Totschlagargument, um den Betriebsrat möglichst knapp zu halten und womöglich noch Rückzahlungen wegen zu viel Großzügigkeit in der Vergangenheit zu verlangen.“ 4 Für diese Fälle hat Däubler ein Argument zur Hand: „Auch die Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern ist strafbar. Jede Seite kann also mit dem Staatsanwalt drohen.“
Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern
Isabel Eder, Leiterin der Abteilung Mitbestimmung/Betriebsverfassung hält das Urteil für problematisch. „Der BGH legt das Gesetz sehr eng aus“, sagt sie. Sie sieht sogar die Gefahr, dass diese enge Auslegung zu einer Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern führt. Denn wer will noch ein Amt ausüben, wenn die eigene – auch finanzielle Entwicklung – hintenanstehen muss? Der Berliner Jurist Thomas Wahlig äußerte sich jüngst in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ähnlich: „Das Betriebsratsamt wird zum Karrierekiller.“
Wie bildet man Vergleichsgruppen?
Angesichts des neuen Urteils „ist es umso wichtiger, dass Betriebsräte sich mit der Planung der Zukunft ihrer Mitglieder befassen“, sagt Isabel Eder. Denn auch das – die Planung von Karriere und Entgelt – gehört zur Betriebsratsarbeit dazu. Je eher das passiert, um so besser. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die korrekte Bildung von Vergleichsgruppen, auf die der BGH so Wert legt: Wer im Betrieb hat mit mir in vergleichbarer Position angefangen und hat sich wie entwickelt?
Das Problem: Oft lassen sich solche Vergleichsgruppen gar nicht oder nur schwer bilden. Und wenn jemand 20 Jahre freigestellt im Amt ist, sind Vergleichspersonen oft gar nicht mehr im Betrieb. IGBCE-Juristin Isabel Eder rät deshalb zu Sorgfalt. Wichtig: Vergleichsgruppen sollten bereits bei Amtsantritt eines Betriebsratsmitglieds gebildet werden – und nicht erst mit einer Freistellung.
Außerdem sollten Belege gesammelt werden. Denn vor Gericht müssen im Zweifel die klagenden Betriebsratsmitglieder beweisen, dass sie benachteiligt werden. Und dazu müssen sie Unterlagen vorlegen – etwa Arbeitsverträge, Beförderungen, Stellenbeschreibungen. 5 „Daran mangelt es aber oft, und die Klagen scheitern“, weiß Isabel Eder. Und noch etwas rät die IGBCE-Fachfrau: Die Aktiven in den Betriebsräten sollten sich noch stärker als bisher um ihre berufliche Laufbahn kümmern und möglichst regelmäßig Qualifikationen in ihrem Beruf erwerben.
Der Gang zum Güterichter
Arbeitsrechtler Däubler hat eine verfahrensrechtliche Idee, wie man die Kuh vom Eis kriegt, wenn Arbeitgeber Angst vor dem Strafgesetz haben – man muss ihnen diese Angst nehmen. „Betriebsrat und Arbeitgeber können sich über die Höhe der Betriebsratsvergütung verständigen, wobei sie natürlich im Rahmen des Möglichen die Kriterien des BGH berücksichtigen müssen“, schlägt er vor. „Dann gehen sie zu Gericht, indem das einzelne Betriebsratsmitglied Klage auf angemessene Vergütung erhebt. Im Gütetermin wird die Angelegenheit dann nach § 54 Abs. 6 Arbeitsgerichtsgesetz an den sogenannten Güterichter abgegeben, weil beide Seiten dies wollen.“ 6 Wenn dann der Güterichter grünes Licht für den Vergleich der Betriebsparteien gebe, „besteht für die Arbeitgeberseite kein strafrechtliches Risiko mehr“.
Fazit: Wir brauchen ein neues Gesetz
Noch ist also nicht klar, welche Folgen das Urteil genau haben wird, der Rechtsstreit ist schließlich noch nicht zu Ende. Klar ist aber auf jeden Fall: So kann es nicht weitergehen. „Wir drängen seit Jahren auf eine saubere gesetzliche Lösung“, sagt Karin Erhard, zuständiges Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der IGBCE, „es wird jetzt höchste Zeit, dass sie kommt. Das kann man nicht der Rechtsprechung überlassen.“
Auch Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler fordert, der Gesetzgeber müsse „dem Spuk ein Ende bereiten“. Derweil rät er Betriebsräten zu Gelassenheit. „Man sollte sich nicht ins Bockshorn jagen lassen.“ Die Schlacht, so Däubler, „ist noch nicht geschlagen“.
Die IGBCE hat gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund auch schon einen Vorschlag für die Reform des Gesetzes gemacht. Ein Passus darin lautet: Bei der Betriebsratsvergütung „sind auch die bei Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen (...) zu berücksichtigen“.
Du hast Fragen?
Die IGBCE bietet eine digitale Sprechstunde zum Thema Betriebsratsvergütung und zu den Folgen des BGH-Urteils an. Sie findet statt am 18. April, 13 bis 14 Uhr. Isabel Eder, Leiterin der Abteilung Mitbestimmung der IGBCE, wird Fragen beantworten. Deine Fragen kannst du uns bereits vorab unter der E-Mail-Adresse sprechstunde@igbce.de zusenden. Infos zur Anmeldung findest du hier.