Praxis

April | Mai 2023

Foto: Benjamin Jenak

Die Wette gilt

Katrin Lösche ist ­Betriebsrätin und ­Vorsitzende der Vertrauenskörperleitung bei der LEAG.

Mitten in der heftigsten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit haben IGBCE-Aktive wie Katrin Lösche (Foto oben) einen guten Job gemacht. Ihnen ist gelungen, viele neue Mitglieder für die Gewerkschaft zu begeistern – deutlich mehr als in den Vorjahren. Wie sie das geschafft haben? Kathryn Kortmann und Leo Kölzer berichten über gute Argumente, originelle Strategien – und warum sich ein IGBCE-Sekretär wegen einer verlorenen Wette eine Grillschürze besorgen muss.

Der Spitzenreiter bei den Neuaufnahmen im zurückliegenden Jahr kommt aus dem Osten. Der Bezirk Lausitz hat das Jahr 2022 mit einem satten Plus von 5,17 Prozent mehr Mitgliedern abgeschlossen. Gleich in zwei Betrieben ist die Zahl der Mitglieder deutlich in die Höhe geschossen, weil die Beschäftigten erkannt haben: Die Mitgliedschaft in der IGBCE lässt die Kasse klingeln.

Exklusive Karte nur für IGBCE-Mitglieder: Bei der LEAG in der Lausitz bekommen Mitglieder Geld vom Unternehmen auf eine Guthabenkarte gezahlt – und können in der Drogerie, im Supermarkt oder an der Tankstelle damit zahlen. Die Idee zieht.

Foto: Benjamin Jenak

Bei dem Energieunternehmen LEAG in der Lausitz ist das sogar nicht nur im übertragenen Sinn der Fall. Mit einer kleinen exklusiven Karte können Gewerkschaftsmitglieder bei etlichen Partnern in der Region tatsächlich einkaufen. 45 Euro zahlt der Arbeitgeber jeden Monat auf die „Edenred“, eine Guthabenkarte ein, die bei der LEAG ausschließlich IGBCE-Mitglieder bekommen. „Dieser Bonus – brutto für netto – zieht“, berichtet Katrin Lösche, Betriebsrätin und Vorsitzende der Vertrauenskörperleitung für beide LEAG-Tagebaue in Jänschwalde und Welzow-Süd. „Mit den 45 Euro auf der Karte können Gewerkschaftsmitglieder beim Tanken, in der Drogerie oder im Supermarkt bezahlen oder sie sparen den monatlichen Bonus für eine größere Anschaffung an.“ Neu ist die Karte nicht, allerdings ist der Betrag, den die LEAG IGBCE-Mitgliedern zahlt, nach den Tarifverhandlungen im vergangenen Jahr um zehn Euro gestiegen.

45 Euro, die den IGBCE-Aktiven als schlagkräftiges Argument für die Mitgliederwerbung dienten, als die LEAG 2022 die Beschäftigtenzahl aufgrund der von der Bundesregierung ausgerufenen Sicherheitsreserve drastisch erhöhen musste. Rund 1000 Kolleginnen und Kollegen wurden binnen kürzester Zeit neu eingestellt, um so die Energieversorgung nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine zu sichern. „Nahezu 90 Prozent von ihnen haben sich uns angeschlossen“, sagt Katrin Lösche. „Wenn es neben all den guten Argumenten für eine Mitgliedschaft wie Tarifverträge, Rechtsschutz oder Freizeitunfallversicherung noch eines weiteren bedurfte, hatten wir das mit unserer Edenred-Karte in der Hand.“ Boni nur für Gewerkschaftsmitglieder sind bei Unternehmen zwar nicht beliebt, aber „dank der Montanmitbestimmung haben wir das durchgesetzt“, sagt Ute Liebsch, IGBCE-Bezirksleiterin in der Lausitz. „Der Arbeitsdirektor war für diesen Tarifbaustein zugänglich.“

Rund 40 Kilometer südlich vom Hauptsitz der LEAG in Cottbus liegt Tschernitz, Standort des zweiten Betriebs, der für die gute Mitgliederentwicklung im Osten gesorgt hat: die Glasmanufaktur. Rund 400 Beschäftigte bauen an der zukünftigen Energieversorgung mit. Sie stellen Solarglas für Fotovoltaik und Solarthermie her. Angesichts des flächendeckend notwendigen Umstiegs auf klimafreundliche, regenerative Energien eine gefragte Branche. „Die Zeit, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, ist daher günstig“, sagt Bezirksleiterin Ute Liebsch. Damit auch die Belegschaft ihren fairen Anteil vom Boom abbekommt, haben die Aktiven im Betrieb mächtig die Werbetrommel gerührt und darauf hingewiesen, dass gute Arbeitsbedingungen nicht vom Himmel fallen. Mit Erfolg: Viele Beschäftigte traten in die IGBCE ein, und ein Betriebsrat wurde gewählt. Die Etablierung gewerkschaftlicher Vertrauensleutestrukturen im Betrieb schreitet voran, nächstes Ziel: Tarifvertrag.

Ohne Tarifbindung wäre die Arbeitswelt eine andere, weniger fair, weniger einträglich. Das ist ein gutes Argument, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Mark Pfister, Betriebsratsvorsitzender bei Biontech

Den haben sich die Beschäftigten bei Biontech bereits erkämpft. Allerdings gilt die Tarifbindung des seit Einführung des Corona-Impfstoffes weithin bekannten deutschen Biotechkonzerns nur für den Standort Marburg. Tarifbindung ist im Unternehmen also nicht selbstverständlich – für den Betriebsratsvorsitzenden Mark Pfister ein gutes Argument in der Mitgliederwerbung. Zumal die Tarifbindung, die über eine Standortentwicklungsvereinbarung abgeschlossen wurde, vorerst nur bis Ende 2024 gilt. „Das bedeutet zwar nicht, dass wir danach rausfliegen“, sagt Pfister, „aber die Befürchtung geistert hartnäckig durch die Köpfe der Belegschaft.“ Die sieht, dass die Arbeitswelt ohne Tarifbindung an den anderen Standorten eine andere ist, weniger fair, weniger einträglich. Die Marburger Beschäftigten wissen: Gut organisiert und mit einer starken Mitbestimmung sind die Chancen größer, auch über 2024 hinaus tarifgebunden zu bleiben. „Das ist neben all den anderen Vorteilen einer Mitgliedschaft das ausschlaggebende Argument, sich gewerkschaftlich zu organisieren und gemeinsam mit der IGBCE für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.“

Auch bei 50Hertz in Berlin war ein Tarifvertrag der Türöffner für neue Mitglieder. Einen eigenen Haustarifvertrag hat das Unternehmen noch nicht lange, und als jüngst wieder eine Tarifrunde bevorstand, nutzten die Ehrenamtlichen der IGBCE sie für eine Mitgliederoffensive. „Mit den Verhandlungen vor der Brust hatten wir die Argumentation mehr denn je auf unserer Seite“, sagt Betriebsratsmitglied und Elektrotechniker Andreas Tischner. Das Credo des Gremiums: „Je stärker die gewerkschaftliche Basis im Betrieb ist, desto besser ist die Ausgangslage für etwaige Forderungen.“ Das führte schließlich nicht nur zu einem ordentlichen Prozenteplus, sondern bescherte einen zusätzlichen freien Tag für Fortbildung – und zwar exklusiv für Mitglieder der IGBCE. „Die Erkenntnis, dass mit der Gewerkschaft im Rücken mehr drin ist, hallt bis heute im Betrieb nach“, sagt Tischner.

Selbstsicherheit ist der Schlüssel zum Erfolg.

Stefan Vögtel, Vertrauens­leutevorsitzender bei Octapharma

Einen nicht ganz alltäglichen Weg der Mitgliederwerbung haben die Vertrauensleute beim Arzneimittelhersteller Octapharma am Standort im niedersächsischen Springe beschritten. Ein Vertrauensleuteseminar und eine Wette sorgten dafür, dass die ohnehin gut funktionierende Mitgliederwerbung 2022 weiter an Fahrt aufgenommen hat. Im Seminar haben Daniel Zaldívar Maestro, Gewerkschaftssekretär der IGBCE aus dem Bezirk Hannover, und Michael Porschen, IGBCE-Fachsekretär für Vertrauensleutearbeit das Handwerkszeug der Mitgliederwerbung vermittelt – und den Aktiven eine Wette angeboten: „Wetten, dass ihr es nicht schafft, innerhalb eines Jahres 50 neue Mitglieder zu gewinnen?“ Der Ehrgeiz war angestachelt. Der Wetteinsatz: „Schafft ihr das doch, schmeißen wir im nächsten Sommer den Grill für die Vertrauensleute an.“ Die Wette hat so viel Motivation erzeugt, „dass es schon am Wochenende nach der Klausur hieß, ich soll mir eine Grillschürze zulegen“, erzählt Michael Porschen. „In nicht mal drei Tagen hatten sie bereits die Hälfte geworben.“

Weil das Pharmaunternehmen ­gerade viele Neueinstellungen vornimmt, können die Vertrauensleute ihre im Seminar gelernten Fähigkeiten direkt ausprobieren. „Durch das Seminar sind vor allem unsere jüngeren Kolleginnen und Kollegen im Vertrauenskörper sicherer in der Ansprache unorganisierter Beschäftigter geworden“, sagt Vertrauens­leutevorsitzender Stefan Vögtel. „Selbstsicherheit ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Das i-Tüpfelchen sei dann die Wette gewesen. Jetzt freuen sich die engagierten Vertrauensleute auf den Sommer und das Grillfest mit ihrer IGBCE.