Die Mutmacherin
Nein, zaubern kann Bettina Lange nicht. Aber sie kann beim Ausfüllen von Anträgen helfen, nach alternativen Arbeitsplätzen im Unternehmen suchen und dazu beitragen, dass Arbeitsplätze schwerbehindertengerecht ausgestattet werden. Sie weiß, wie und für welche inklusiven Maßnahmen beim Integrationsamt Gelder beantragt werden können. Sie unterstützt Beschäftigte bei der Wiedereingliederung in den Betrieb nach längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten. Und sie kann Mut machen. Vor allem aber kann Bettina Lange zuhören. „Immer wieder erlebe ich, wie dankbar die Kolleginnen und Kollegen sind, dass sie sich ihren Kummer über ihre gesundheitlichen Probleme und Existenzängste bei mir von der Seele reden können“, erzählt sie. „Das tut ihnen gut und ist für mich ein großer Vertrauensbeweis.“
Vertrauen ist das A und O im täglichen Geschäft von Bettina Lange. Sie geht vertraulich um mit den Informationen, die ihr anvertraut werden, nicht nur weil der Datenschutz das von ihr erfordert. In ihrem „Geschäft“ wird Bettina Lange konfrontiert mit Krankheiten und Behinderungen, sichtbaren und unsichtbaren, mit Bandscheibenvorfällen, Mobilitätseinschränkungen, Krebserkrankungen oder Depressionen. Sie ist die erste Anlaufstelle für die rund 140 schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Beschäftigten im Betrieb. Die 44-jährige Industriekauffrau ist nicht nur seit fast 23 Jahren Betriebsrätin, seit 2014 engagiert sie sich auch in der Schwerbehindertenvertretung bei Symrise, einem weltweit agierenden Hersteller von Duft- und Geschmacksstoffen mit Hauptsitz im niedersächsischen Holzminden. Seit 2018 ist sie SBV-Vorsitzende, seit 2020 freigestellt. Bei den SBV-Wahlen im vergangenen Herbst wurde sie mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt. Mit ihr, so haben ihr Kolleginnen und Kollegen immer wieder zugetragen, hat die SBV eine eigene Stimme und ein Gesicht bekommen.
Über Krankheiten und Diagnosen zu reden, fällt den Betroffenen meist nicht leicht, denn die Angst, stigmatisiert zu werden, ist groß.
Als Mutter von viel zu früh geborenen Zwillingssöhnen, die inzwischen schon 13 Jahre alt sind, weiß Bettina Lange das nur zu gut. Sie kennt sich aus mit Krankheiten und Einschränkungen, Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten. Sie weiß aus eigenem Erleben, wie sich Betroffene fühlen und wie wichtig es ist, über ihre Handicaps zu sprechen – für die Psyche und um Hilfe zu bekommen.
Wer sich an Bettina Lange wendet, bekommt „Starthilfe und Unterstützung in alle Richtungen“. Eine Adresse zum Beispiel, wo Betroffene weitere Hilfe finden, manchmal auch in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung einen neuen Arbeitsplatz im Unternehmen oder Hilfsmittel, mit denen Betroffene am gewohnten Arbeitsplatz bleiben können. Das können ergonomische Bürostühle sein oder auch schon mal ein moderner Gefrierschrank. „Der ersetzt jetzt eine alte Gefriertruhe und kann mit dem Gabelstapler angefahren werden, um das 25 Kilo schwere Paket bequem herauszuholen und an seinen Bestimmungsort zu bringen“, berichtet Bettina Lange. „Das aus der alten Truhe herauszuheben, war dem Kollegen nicht mehr möglich. Jetzt kann er weiter in seinem Bereich arbeiten – und letztlich profitieren auch alle anderen Beschäftigten davon, weil sie deutlich rückenschonender arbeiten können.“
Die Interessen von Schwerbehinderten zu vertreten, ist mir eine Herzensangelegenheit.
Mit ihrem Einsatz für die Teilhabe ist Bettina Lange nicht allein. Neben der guten Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat hat sie bei Symrise zwei Stellvertreter, mit denen sie sich – unter Wahrung des Datenschutzes – regelmäßig austauscht. Und sie arbeitet seit gut einem Jahr mit im SBV-Netzwerk der IGBCE. „Viermal im Jahr treffen wir uns in einem Bildungszentrum der IGBCE“, erzählt Bettina Lange. „Das ist für mich eine gute Gelegenheit, von den Erfahrungen der SBVen aus viel größeren Unternehmen zu lernen. Deren Probleme sind schließlich ganz ähnlich wie die bei uns in Holzminden und deren Lösungsstrategien können uns helfen.“
Aktuell beteiligt sich das SBV-Netzwerk intensiv an der Vorbereitung der 17. SBV-Jahrestagung der IGBCE in Laatzen bei Hannover (weitere Infos auf der Website der BWS). Dass Bettina Lange vom 19. bis 21. Juni dabei ist, ist für sie selbstverständlich. Das ist schließlich eine gute Gelegenheit, um jede Menge Input zu bekommen, wie man die Stimme der schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen in Holzminden weiter stärkt. Denn das ist ihr „eine Herzensangelegenheit“, sagt sie.