Mit Rucksack und Lampe
Gute Tarifabschlüsse erzielen sich nicht von allein. Sie werden gepusht von Aktiven in den Betrieben. Wie aber gelingt es Vertrauensleuten, Betriebsräten und IGBCE, dass die Mitglieder die Tarifrunde zu ihrer Tarifrunde machen und so für bestmögliche Ergebnisse sorgen? Kathryn Kortmann hat sich in Betrieben umgehört.
Was haben prall gefüllte Rucksäcke und leistungsstarke Taschenlampen gemeinsam? Sie waren bei Goodyear im sächsischen Riesa wichtiges Equipment in den zurückliegenden Tarifrunden der Kautschukindustrie. „Sie symbolisieren unsere Forderungen“, erzählt Frank Lorenz. „Sie schaffen Bilder in den Köpfen unserer Kolleginnen und Kollegen, die sie daran erinnern, wofür sie streiten.“ Und nach einer erfolgreichen Tarifrunde, fügt der Vorsitzende der Vertrauensleute (VL) hinzu, „sorgen sie noch lange dafür, dass die Kollegen nicht vergessen, welche Erfolge wir gemeinsam mit der IGBCE durchgesetzt haben.“
400 Rucksäcke haben die Vertrauensleute beim Reifenhersteller Goodyear in Riesa zum Beispiel in der Tarifrunde 2020 verteilt – und damit die Forderung nach einer satten Erhöhung des Urlaubsgelds, das am Ende stufenweise nahezu verdoppelt wurde, ins Bild gesetzt. Ein anderes Mal wechselten 500 Taschenlampen die Besitzer. „Ohne uns geht das Licht aus“ lautete die Botschaft, die die Beschäftigten dem Arbeitgeberverband der deutschen Kautschukindustrie mit auf den Weg gaben – sinnbildlich dafür, dass eine deutliche Entgeltsteigerung notwendig ist, wenn Beschäftigte in Zeiten des Fachkräftemangels nicht in besser bezahlte Branchen abwandern sollen.
Aktionen wie diese sind aber nur ein Puzzleteil, um in Tarifrunden erfolgreich zu sein. Für noch wichtiger hält Frank Lorenz gute gewerkschaftliche Strukturen im Betrieb. „Deshalb legen wir großen Wert auf unsere Vertrauensleutearbeit“, sagt er. „Vertrauensleute entwickeln Ideen für Tarifaktionen und setzen diese anschließend kreativ um. Und sie sind der Garant dafür, dass die Beschäftigten über alle Schichten hinweg stets auf dem aktuellen Stand sind – von der Forderungsfindung bis hin zur Kommunikation des Ergebnisses.“
Ein Strauß von Ideen
Größtmögliche Transparenz ist auch für Ralf Emmel das entscheidende Kriterium, damit sich die Belegschaft in Tarifrunden möglichst geschlossen hinter die Forderung der IGBCE stellt. In der gerade zu Ende gegangenen Haustarifrunde hat der Betriebsrat und VL-Vorsitzende beim deutsch-österreichischen Medizinproduktehersteller Lohmann und Rauscher in Neuwied unlängst erlebt, „dass Kommunikation das A und O guter Tarifpolitik ist“. Das Ergebnis, das die IGBCE für die rund 1250 Beschäftigten bereits in der zweiten Verhandlungsrunde erzielt hat, kam der Forderung sehr nah: Aufstockung der monatlichen Tankkarte auf 50 Euro, Wahloption zwischen Tankkarte und Deutschlandticket, eine Inflationsausgleichsprämie von 2700 Euro für die ersten elf Monate und für die zweite Hälfte der 22-monatigen Laufzeit ein monatliches Plus von 6,5 Prozent mehr Geld, dazu eine überproportionale Anhebung der Auszubildendenvergütung.
Eine Tarifrunde, die zur Erfolgsgeschichte geworden ist, weil Aktive wie Ralf Emmel gemeinsam mit der IGBCE im vergangenen Jahr an verschiedenen Stellschrauben gedreht haben. „Wir haben zunächst unsere Vertrauensleutearbeit neu aufgestellt“, erzählt Emmel. „Uns war es wichtig, dass Vertrauensleute neben dem Betriebsrat zu einer weiteren wichtigen Säule der Mitbestimmung im Betrieb werden.“ Ruhte die VL-Arbeit bis vor Kurzem vorwiegend auf den Schultern der Betriebsräte, wurde sie nun auf andere Schultern verteilt und von der Betriebsratsarbeit weitgehend losgelöst. „Damit haben wir klar abgegrenzt, wer für welche Aufgaben zuständig ist“, sagt Ralf Emmel, „Vielen unserer Beschäftigten war bis dahin gar nicht bewusst, dass nur die Gewerkschaft Tarifverträge verhandelt.“
Alle Bereiche – vom Lager über Produktion, Handwerk, Verwaltung sowie Forschung und Entwicklung – haben nun eine eigene Vertrauensperson. Das schafft eine personelle Trennung von Betriebsrats- und Vertrauensleutearbeit und sorgt dafür, dass die zum Teil sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen aller drei Standorte rund um Neuwied auch Gehör finden. „Das hat sich bewährt“, sagt Emmel. „Die neuen Vertrauensleute haben einen ganzen Blumenstrauß an Ideen mitgebracht, die sie zuvor bei den Beschäftigten in ihren Bereichen gesammelt haben. Daraus ist dann die Forderung entstanden.“ Eine solche Vorgehensweise hat den Vorteil, dass alle Kolleginnen und Kollegen von Anfang an eingebunden sind, „sich mit der Forderung besser identifizieren und so viel mehr bereit sind, sich dafür einzusetzen“.
Gewerkschaftliche Strukturen im Betrieb und gut organisierte Vertrauensleute spielen eine zentrale Rolle in Tarifverhandlungen.
Frank Lorenz
Schnelle News per Whatsapp
Zwei Tarifaktionen haben die Vertrauensleute zudem durchgeführt. Im Vorfeld der ersten Verhandlung haben sie mit mehr als 300 Kolleginnen und Kollegen persönlich gesprochen und Schokoriegel verteilt. Die zweite Aktion fand am zweiten Verhandlungstag statt. Und weil es dabei schon um die sprichwörtliche Wurst ging, gab es die auch real zum Verzehr. Eine weitaus entscheidendere Bedeutung als diese kleinen Appetithappen hatte aber die zu jeder Zeit transparente Kommunikation während der Haustarifrunde. Sie trug zur guten Stimmung und zu einem erfolgreichen Abschluss bei. „Wir haben unsere Kolleginnen und Kollegen selbst aus den Verhandlungsrunden über unseren Whatsapp-Kanal immer über den aktuellen Stand informiert“, sagt Emmel. Und auch die Beschäftigten, die weniger digital unterwegs sind, wurden erreicht, weil die Vertrauensleute auch analoge Wege wie Schwarze Bretter stets mit aktuellen Informationen bestückten. „Die VL-Arbeit neu aufzustellen, hat sich gelohnt“, resümiert der VL-Vorsitzende, „Die Vertrauensleute sind zu einem echten Sprachrohr in die und aus der Belegschaft geworden.“
Die entscheidende Schnittstelle
Auch bei Lanxess in Mannheim kommt den Vertrauensleuten in der aktuellen Tarifrunde der Chemieindustrie wieder eine Schlüsselrolle zu. Davon ist Betriebsratsvorsitzender Anton Böhm, der auch Tarifkommissionsmitglied in Baden-Württemberg ist, überzeugt. „Die Vertrauensleute sind die entscheidende Schnittstelle zur Belegschaft“, sagt Böhm. „Sie sind die Multiplikatoren, die im persönlichen Gespräch für Akzeptanz sorgen können.“ Deshalb sei es enorm wichtig, dass „wir unsere Vertrauensleute schulen, sie bis ins kleinste Detail informieren und ihre Nachfragen immer wieder beantworten“.
Wenn die Vertrauensleute hinter der Forderung und am Ende auch hinter dem Ergebnis stehen, „zieht auch die Belegschaft mit“. Mit aktuell 36 Vertrauensleuten für die rund 420 Beschäftigten am Standort ist die VL-Arbeit gut aufgestellt. „Der persönliche Draht, der so entsteht, ist entscheidender als große Tarifaktionen“, meint Anton Böhm. „Die Arbeitgeber spüren die Geschlossenheit der Kolleginnen und Kollegen – auch ohne aufsehenerregende Warnstreiks.“ Wenn die Forderung nicht auf Akzeptanz stoßen würde, „hätte sich das längst in den sozialen Medien auch bis zu den Arbeitgebern rumgesprochen“, so Böhm.
Dass es aktuell verhältnismäßig ruhig im Betrieb zugeht, deutet er in zweierlei Hinsicht als gutes Zeichen. Zum einen haben die Kolleginnen und Kollegen verstanden, worum es in dieser Chemietarifrunde geht – nicht um exorbitante Entgeltforderungen im zweistelligen, sondern um eine möglichst realitätsnahe prozentuale Erhöhung, wie die IGBCE sie beschlossen hat. Und zum anderen haben die Vertrauensleute mit all ihnen zur Verfügung stehenden Kommunikationswegen – digital und analog – einen guten Job gemacht.