Interview

April | Mai 2024

„Meine Stimme gegen rechte Parolen“

Foto: Nils Hendrik Müller

Zur Person:

Lars Hunger (36) ist Betriebsrats­vorsitzender bei Mercer in Stendal. Das Unternehmen mit Hauptsitz in den USA produziert Zellstoff, Bioenergie und verschiedene Biochemikalien.

Die Umfrageergebnisse enthüllen es Woche für Woche aufs Neue: Rechte sind auf dem Vormarsch. Dazu schockieren ­diskriminierende und rassistische Vorfälle, während andernorts Hunderttausende auf die Straße gehen, um Zeichen für die Demokratie zu setzen. Lars Hunger, Betriebsvorsitzender bei Mercer in Stendal, erzählt im Interview mit Kathryn Kortmann, welche Erfahrungen er persönlich mit Rechten im Betrieb gemacht hat und was er ihnen entgegenhält.

Lars, die Stimmung im Land ist gereizt und politisch aufgeladen. Ist das auch bei euch im Betrieb spürbar?

Auf jeden Fall, sogar in vielerlei Hinsicht. Das, was sich vor den Werktoren abspielt, bleibt nicht draußen, sondern ist auch im Betrieb Thema. Die Proteste der Landwirte etwa haben für einige Unruhe gesorgt. Wir leben hier in einer eher ländlichen Region und viele sind auf die Anreise mit dem Auto angewiesen. Wenn die Landwirte die Straßen mit ihren Traktoren blockieren, hat das unmittelbare Auswirkungen auf viele Kolleginnen und Kollegen, die Schwierigkeiten haben, pünktlich zur Arbeit zu kommen. Da gab es immer wieder Unmutsäußerungen.

Du sagst in vielerlei Hinsicht. Hast du noch ein weiteres Beispiel?

Ein kleiner Aushang hat Wellen geschlagen. Ich habe einen IGBCE-Flyer im Betrieb ausgehängt, auf dem zur Teilnahme an einer Demonstration in Stendal gegen Rechtsextremismus, Rassismus und rechte Hetze aufgerufen wurde. Das fanden nicht alle gut. Es hat rumort. Ich habe von einigen gehört, dass sie mit solchen Aushängen nicht einverstanden sind.

Warum?

Sie kommen dann zunächst mit Argumenten wie Politik hat im Betrieb nichts zu suchen. Das ist aber nur vordergründig. Oft sind das die gleichen Kollegen, die durchaus für markige Sprüche bekannt sind, selber mit demokratiefeindlichen Äußerungen nicht hinter dem Berg halten und so ihre politischen Ansichten in den Betrieb tragen. Insofern verstehen sie Werbung für eine Demo gegen rechten Hass als Protest gegen ihre eigene politische Haltung.

Ich habe das Gefühl, dass es unter unseren Beschäftigten durchaus einige gibt, die demokratiefeindlichen Ideologien nicht abgeneigt sind.

Ihr habt Probleme mit Rechten?

Probleme würde ich so nicht sagen. Aber ich habe das Gefühl, dass es unter unseren Beschäftigten durchaus einige gibt, die demokratiefeindlichen Ideologien nicht abgeneigt sind und daraus auch keinen Hehl mehr machen. Mit zunehmender Tendenz.

Wie bekommst du als Betriebsrat das mit?

Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal berichten mir Kolleginnen und Kollegen davon, dass Kollege XY dies oder das gesagt hat. Oft suchen diese Demokratiefeinde mich aber auch in meinem Betriebsratsbüro wegen ganz anderer Themen auf und bringen dann von sich aus das Gespräch auf die Politik. Wohl auch, um mich aus der Reserve zu locken oder um mich zu belehren, dass ich mit meiner eher links-grünen Gesinnung falsch liege.

Wie gehst du damit um?

Ich stelle mich diesen Gesprächen, lasse sie erst mal reden, höre zu. Und dann versuche ich durch Fragen rauszukriegen, warum sie so frustriert sind. Meist sind nämlich persönlicher Frust, ein diffuses Gefühl von Benachteiligung oder negative Erfahrungen in der Familie oder im Freundeskreis Auslöser dafür, dass sie sich plötzlich ganz freimütig zu offenkundig demokratiefeindlichen Parteien bekennen und glauben, die würden ihre Probleme lösen. Fakten allein, warum rechte Parteien keine wählbare Alternative sind, bewirken kein Umdenken mehr. Wenn du die Leute überhaupt noch erreichen kannst, dann über die persönliche Schiene.

Kannst du dafür ein Beispiel nennen?

Hier stand mal jemand vor mir, der auf Nachfragen erzählte, wie schlecht Alleinerziehende dran sind. Der schob einen mega Frust vor sich her und protestiert gegen die aktuelle Politik, indem er rechten Parolen hinterherläuft. Völlig unreflektiert. Würde er sich die Mühe machen, zu recherchieren, wie beispielsweise die AfD zu Alleinerziehenden steht, würde er schnell feststellen, dass diese Partei ganz bestimmt nicht die Lösung dieser Probleme ist. Wenn ich das persönliche Problem identifiziert habe, googel ich mit ihnen gemeinsam, was denn das Parteiprogramm ganz speziell dazu sagt. Das ist dann meistens ernüchternd. Und bei der Gelegenheit bietet es sich dann an, auch noch mal gemeinsam einen Blick auf die wirtschaftlichen Vorstellungen zu werfen.

Auch die Arbeitswelt wäre eine andere, wenn rechte Parteien in der Regierungsverantwortung wären.

Wie meinst du das?

Auch die Arbeitswelt wäre eine andere, wenn rechte Parteien in der Regierungsverantwortung wären. Das würde die Wirtschaft massiv gefährden und fatale Folgen für Standorte, Arbeitsplätze und Wohlstand haben.

Erklär mal.

Die AfD befürwortet zum Beispiel ein Referendum über den Austritt aus der Europäischen Union (EU). Mit ihrer Abschottungspolitik und ihren nationalistischen Bestrebungen gefährdet die Partei aber die internationale Zusammenarbeit, auf die auch unser Unternehmen angewiesen ist. 70 Prozent unserer Produktion gehen in die EU und in ein weltweites Netz. Dazu agiert die AfD gewerkschaftsfeindlich. Aber die Tarifverträge, die uns gute Arbeitsbedingungen bescheren, sind von den Gewerkschaften erkämpft worden.

Verfolgt ihr im Betriebsrat eine gemeinsame Strategie gegen rechte Parolen?

Bislang leider nicht. Ich denke, es gibt auch unter Betriebsräten Kollegen, die sich nicht ganz so stark von rechten Ideologien abgrenzen und gegen demokratiefeindliche Äußerungen positionieren. Trotzdem verfolgen wir gemeinsam die Vision des Konzerns, sich für eine Kultur der Vielfalt und Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe einzusetzen.

Du bleibst trotzdem dran?

Auf jeden Fall. Aufgeben ist keine Alternative. Denn dann wären einer ähnlichen Entwicklung wie zum Ende der Weimarer Republik Tür und Tor geöffnet. Wir sollten keine Zeit verschwenden und jede Gelegenheit nutzen, unsere Stimme gegen rechte und menschenverachtende Parolen zu erheben. Ich für meinen Teil tue das, wann immer sich mir eine Gelegenheit bietet.

Wie könnte die IGBCE dich dabei noch mehr unterstützen?

Dass rechtes Gedankengut sich nicht mit der DNA der Gewerkschaften und deren moralischen Grundwerten verträgt, ist kein Geheimnis. Die IGBCE unterstützt Demos gegen rechts. Vielleicht müssen wir Gewerkschafter aber noch ein bisschen stärker ins Bewusstsein rufen, welche Errungenschaften wir der Demokratie und der betrieblichen Mitbestimmung zu verdanken haben. Auch die Erfolge von Tarifverträgen müssten wir vielleicht noch besser kommunizieren. Dass Gewerkschaften die Inflationsausgleichsprämie verhandelt haben, ist vielen zum Beispiel gar nicht bewusst.

Wir haben noch alle Fäden in der Hand, die Demokratie zu verteidigen.

Du hast eben von den Schicksalsjahren der Weimarer Republik geredet …

… ja, es ist fünf vor zwölf, aber noch nicht zwölf. Wir haben noch alle Fäden in der Hand, die Demokratie zu verteidigen. Ich glaube, dass wir die, die jetzt noch relativ frisch aus individuellem Frust und aus Unwissenheit rechten Parolen hinterherlaufen, mit viel Sensibilität noch erreichen können – wenn wir uns die Zeit für sie nehmen. Die Hardcore-Rechten können wir wohl nicht ändern. Aber das ist eine Minderheit, die eine wehrhafte Demokratie vertragen kann.

Du hast also noch Hoffnung?

Definitiv. Dass sich so viele an den Demonstrationen im Land beteiligen, macht Mut. Bei den Demos in Stendal habe ich auch Kolleginnen und Kollegen getroffen, von denen ich das gar nicht erwartet hätte. Und: Bei uns im Betrieb arbeiten viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern zusammen, reibungslos. Wenn der Migrant oder die Migrantin ein Gesicht hat, sind rassistische und ausländerfeindliche Parolen oft ganz weit weg.