Kehrt jetzt Ruhe ein?
Das Bundeskabinett hat im November ein Gesetz zur Vergütung von Betriebsrätinnen und Betriebsräten (BR) auf den Weg gebracht. Das soll für Rechtssicherheit und Ruhe sorgen. Warum die Neuregelung dringend notwendig ist und was der Gesetzesentwurf für die Praxis bedeutet, beschreibt Kathryn Kortmann.
BGH-Entscheidung
vom 10.1.2023, Aktenzeichen: 6 StR 133/22
Betriebsverfassungsgesetz
Ergänzung des § 37 Abs. 4
Betriebsverfassungsgesetz
Weitere Ergänzung des § 37 Abs. 4
Betriebsverfassungsgesetz
§ 78 wird um einen Satz 3 ergänzt
Betriebsverfassungsgesetz
§ 78
Wie ein Paukenschlag erschütterte eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe im Januar 2023 Chefetagen und Betriebsräte. In einem Strafverfahren hatte der BGH entschieden, dass sich Führungskräfte in Unternehmen wegen Untreue schuldig und strafbar machen können, wenn sie BR-mitgliedern zu viel bezahlen. 1 „Einige Manager sahen offenbar die Gefahr, dass ein zu leichtfertiger Umgang mit der Betriebsratsvergütung sie ins Gefängnis führen könnte“, berichtet Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung/Aufsichtsratsrecht der IGBCE. „Das hatte zur Folge, dass sie jeder finanziellen Entwicklung eines BR-Mitglieds einen Riegel vorschoben – mit der für sie vorteilhaften Begleiterscheinung, dass BR-Tätigkeiten unattraktiver werden.“ So oder so: Die Verunsicherung in den Unternehmen war groß und führte im Laufe des Jahres dazu, dass Gehälter gekürzt, Vergütungsbestandteile von BR-Mitgliedern kritisch unter die Lupe genommen und Dienstwagen entzogen wurden. Etliche Betriebsräte und Betriebsrätinnen, denen es in Folge der BGH-Entscheidung so erging, fühlten sich benachteiligt und zogen ihrerseits vor die Arbeitsgerichte, um sich – durchaus erfolgreich – dagegen zu wehren.
Eine unhaltbare Situation, die dringend der Klärung bedurfte. Das befand auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der deshalb sehr schnell eine Expertenkommission mit der Entwicklung einer rechtssicheren Gestaltung der Betriebsratsvergütung beauftragte. Die von der Arbeitsgruppe über den Sommer erarbeiteten Vorschläge bilden nun die Grundlage für den Gesetzesentwurf, den das Kabinett Anfang November beschlossen hat. Frühestens im März 2024 tritt die Änderung in Kraft, zunächst muss der Entwurf noch den Weg durch die gesetzgebenden Instanzen gehen. „Der ganz große Wurf ist das zwar nicht“, sagt Jan Grüneberg, „aber die vorgesehenen gesetzlichen Regelungen können entscheidend dazu beitragen, Rechtssicherheit zu schaffen.“ Wirklich Neues enthalten die Regelungen indes nicht. „In vielerlei Hinsicht wird die gängige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgegriffen und festgeschrieben“, so Grüneberg.
Zwei Paragrafen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) sollen – um einige Sätze ergänzt – die Kuh vom Eis holen und künftig für Klarheit und weniger Klagen sorgen:
- Konkretisiert wird der Zeitpunkt, zu dem BR-Mitglieder sich eine Vergleichsgruppe für ihre Vergütung suchen müssen: „Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt.“ 2
- Um auf der sicheren Seite zu sein, ist eine Kann-Bestimmung in das BetrVG eingeflossen: „Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“ 3
- Außerdem präzisiert eine Ergänzung im BetrVG, dass BR-Mitglieder auch im Hinblick auf ihre berufliche Entwicklung weder begünstigt noch benachteiligt werden dürfen: „Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Entgelt nicht vor, wenn das Mitglied der in Satz 1 genannten Vertretungen in seiner Person die für deren Gewährung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“ 4
Von der Theorie in die Praxis
Was bedeuten die geplanten Neuregelungen für die betriebliche Praxis? Gleich nach der Wahl müssen für jedes BR-Mitglied – unabhängig ob freigestellt oder nicht – Vergleichsgruppen gebildet werden, die Bezug auf dessen Qualifikation nehmen und so Grundlage für die Entwicklung der Vergütung nach dem Amtsantritt bilden. Diese Vergleichsgruppe soll sicherstellen, dass BR nicht hinter der betriebsüblichen Entwicklung zurückbleiben. Allerdings sind diese anfänglichen Vergleichsgruppen nicht in Stein gemeißelt, sie lassen auch eine weitere Entwicklungsmöglichkeit zu: die hypothetische Entwicklung. Die Beschäftigung als BR-Mitglied soll nicht dazu führen, dass sie beruflich und finanziell auf der Stelle treten und das Amt zum Karrierekiller wird. Das, so stellt die vorgesehene Ergänzung im BetrVG nun klar, widerspräche ausdrücklich dem Benachteiligungsverbot. 5 Demnach können BR-Mitglieder auch erworbene Kenntnisse und Qualifikationen nutzen, um sich auf Stellen im Unternehmen zu bewerben. Würde der Arbeitgeber diese konkrete Position mit dem BR-Mitglied besetzen, ist diese hypothetische Entwicklung rechtmäßig.
Besser mit Betriebsvereinbarung
Gefördert wird durch die Neuregelung, so sie denn in der vorliegenden Form verabschiedet wird, auch die Betriebsvereinbarung als Mittel der Wahl zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Darin sollten zum Beispiel Kriterien festgeschrieben werden, die klären,
- wie eine Vergleichsgruppe gebildet wird,
- wie der Umgang mit einer sogenannten hypothetischen Entwicklung von Berufskarrieren zu erfolgen hat oder
- wie Betriebsratsmitglieder sich weiterbilden können, um auch in puncto Vergütung voranzukommen.
„Unternehmen und Betriebsräte sind gut beraten, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, in der sie die Kriterien für die BR-Vergütung festlegen“, sagt Jan Grüneberg. „Wer diesen Weg geht, läuft künftig nicht mehr Gefahr, für jedes Detail im Feuer zu stehen.“ Noch besser, so Grüneberg, wäre es allerdings gewesen, „wenn die geplanten Betriebsvereinbarungen im Gesetzesentwurf mittels Einigungsstelle erzwingbar ausgestaltet worden wären“.
Betriebsräte verdienen jede Unterstützung
Auch wenn die geplante Neuregelung für mehr Sachlichkeit und Ruhe sorgen kann, hätten sich die IGBCE und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine weitergehende Regelung gewünscht: „Wir hätten es begrüßt, wenn die Berücksichtigung der während der Betriebsratstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Qualifikationen und Fähigkeiten explizit auch im Gesetzestext erwähnt worden wäre.“ Aus gutem Grund: Denn gut qualifizierte und handlungsfähige Betriebsräte, die mit Weitblick Einfluss auf die sich verändernde Arbeitswelt nehmen und sie mitgestalten, sind „gerade in Zeiten von Polykrisen und des demografischen Wandels“ notwendiger denn je. „Sie verdienen jede Unterstützung des Gesetzgebers und ihrer Arbeitgeber und vor allem unsere gemeinsame Anerkennung“, heißt es in einer DGB-Stellungnahme zum Gesetzesentwurf. „Fehlende Entwicklungsmöglichkeiten dürfen hier nicht abschrecken.“
Du hast Fragen?
Die IGBCE bietet eine digitale Sprechstunde rund um das Thema Betriebsratsvergütung und die auf den Weg gebrachte Neuregelung an. Sie findet am 12. Januar 2024 von 11 bis 12 Uhr statt. Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung der IGBCE, und Peter Voigt, Abteilungsleiter Justiziariat/Rechtspolitik/Rechtsschutz der IGBCE, werden Fragen beantworten. Deine Fragen kannst du uns bereits vorab per E-Mail an sprechstunde@igbce.de zusenden. Nach erfolgter Anmeldung senden wir dir den Besprechungslink zu.