„Am Ende steht immer der Mensch“
Zur Person:
Thorsten Irtz (56) ist teilfreigestellter Betriebsrat und Konzernbetriebsratsvorsitzender bei Beiersdorf. Er ist auch Mitglied im Bezirksvorstand der IGBCE in Hamburg/Harburg.
Künstliche Intelligenz (KI) ist auf dem Vormarsch. Der Konsumgüterkonzern Beiersdorf aus Hamburg – bekannt für Marken wie Nivea, Labello oder Tesa – setzt schon seit einigen Jahren auf KI, zum Beispiel in der Produktentwicklung oder um neues Personal zu gewinnen. Was bedeutet der Einsatz von KI in Unternehmen für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen und worauf müssen sie achten? Thorsten Irtz, Konzernbetriebsratsvorsitzender bei Beiersdorf, spricht darüber im Interview mit unserem Autor Andreas Schulte.
Thorsten, KI ist in aller Munde. Sind die selbstlernenden Systeme nur ein Hype oder werden sie dauerhaft bleiben?
Das ist kein Hype. Im Arbeitsleben wird zukünftig kaum jemand daran vorbeikommen – weder Arbeitgeber noch Belegschaft noch Arbeitnehmervertreter. Denn die Vielfalt an KI-Systemen nimmt schnell zu. ChatGPT kennt ja mittlerweile fast jeder. Aber daneben gibt es längst andere Systeme für alle möglichen Anwendungen etwa zur Verarbeitung von Bild- und Ton.
Womit verbinden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Begriff KI?
Viele befürchten konkret den Verlust von Arbeitsplätzen. Das ist auch möglich, etwa wenn KI das Schreiben von Standardtexten übernimmt. Wichtig ist es daher sicherzustellen, dass der Arbeitgeber an anderer Stelle die Beschäftigung sichert und seine Beschäftigten dahingehend entwickelt. Letztlich ist dies aber keine neue Entwicklung. Denn neue Software hat auch früher schon Arbeitsplätze bedroht.
Die KI kann für die Produktentwicklung Hauttypen scannen. Die Ergebnisse fließen in Datenbanken und werden dort ausgewertet.
Bei Beiersdorf arbeitet ihr bereits mit KI.
Ja, sie wird zum Beispiel für die Produktentwicklung und bei der Personalgewinnung eingesetzt. Die KI kann für die Produktentwicklung Hauttypen scannen. Die Ergebnisse fließen in Datenbanken und werden dort ausgewertet. Am Ende sind neue Hautpflegeprodukte dadurch schneller auf dem Markt.
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat den Einsatz von KI laut Gesetz anzeigen. Hat er das gemacht?
Ja. Wir haben uns die ordnungsgemäße Datenverarbeitung angeschaut. Grundsätzlich verfolgen wir gemeinsam im Unternehmen die Einhaltung unserer Cybersecurity-Richtlinien, der Datenschutzgrundverordnung und unserer Compliance-Grundsätze. Zusätzlich verbleiben die Daten im Konzern und werden nicht extern gespeichert, dann ist es zumeist für uns in Ordnung.
Wie genau geht ihr vor, wenn ihr euch eine KI-Anwendung anschaut?
Wir haben lange Checklisten, wie wir sie schon zuvor bei der Einführung umfangreicher IT-Systeme verwendet haben. Daraus geht beispielsweise hervor: Welche Daten werden erhoben? Wird die Datenschutzgrundverordnung eingehalten? Werden die Daten mit anderen Systemen verknüpft? Anschließend beobachten wir zumeist in Pilotphasen, wie eine Software angewendet wird und wie sie sich entwickelt. Vielleicht weicht sie von ihrem ursprünglichen Einsatzzweck ab. Dann müssen wir nachregeln. Dies mündet dann meist in einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber.
Der Einsatz von KI für die Produktentwicklung betrifft die Belegschaft weniger als ihre Verwendung bei der Personalgewinnung. Wie genau setzt Beiersdorf KI beim Recruiting ein?
Die Künstliche Intelligenz trifft eine priorisierende Vorauswahl bei externen Bewerbern, indem sie fachliche Kompetenzen der Kandidatinnen und Kandidaten automatisiert bewertet. Die Entscheidungen über Vorstellungsgespräche der externen Kandidaten, trifft aber ein Mensch. Die KI wird innerhalb von internen Bewerbungsprozessen nicht eingesetzt. Es muss immer ein persönliches Gespräch mit dem Bewerber geführt werden.
Die letzte Entscheidung bei Personalfragen muss auch hier immer ein Mensch treffen. Darüber sind wir uns mit dem Arbeitgeber einig.
Besteht hier nicht die Gefahr, dass die KI Stereotypen bedient und beispielsweise nur 40-jährige, männliche Hamburger in der engeren Auswahl für eine Stelle landen?
Nein, hier wird bei uns kein Missbrauch betrieben. Auch der Arbeitgeber hat verstanden, dass hierbei die Gefahren einer KI liegen. Darauf müssen wir vertrauen können, denn wir können als Betriebsräte nicht in die Programmcodes einer KI einsteigen und sie überprüfen. Die letzte Entscheidung bei Personalfragen muss auch hier immer ein Mensch treffen. Darüber sind wir uns mit dem Arbeitgeber einig.
Umso wichtiger sind Betriebsvereinbarungen, die den grundsätzlichen Gebrauch von KI regeln?
Ja, es braucht ein übergeordnetes Regelwerk, das ethische und moralische Prinzipien festigt. Hier dürfen wir nicht noch lange auf den Gesetzgeber warten und müssen selbst aktiv werden. Daran arbeiten wir bei Beiersdorf auch. In eine solche Betriebsvereinbarung zur KI gehört eine Arbeitsplatzsicherung hinein. Persönlichkeitsrechte dürfen nicht gefährdet werden, KI muss sozialverträglich und nachhaltig eingesetzt werden. Die Deutsche Telekom hat Anfang des Jahres eine vergleichbare Vereinbarung mit dem Konzernbetriebsrat getroffen. Das Manifest regelt, dass der Einsatz von KI-Systemen keine negativen Auswirkungen auf die Sicherheit, Gesundheit und Grundrechte von Beschäftigten haben darf.
Im Internet finden sich einige Musterausfertigungen für Betriebsvereinbarungen zur Nutzung von KI. Sie stammen unter anderem von Anwälten, die auch Betriebsräte beraten. Was ist davon zu halten?
Als Vorlage können sie dienen, aber Betriebsräte müssen die Inhalte auf ihr Unternehmen und die eigenen Bedürfnisse anpassen. Eine erste Betriebsvereinbarung zum Thema KI kann übrigens durchaus grob sein, also übergeordnete Themen abdecken, wie zum Beispiel den grundsätzlichen Umgang mit der KI. Über einzelne KI-Techniken oder -Anwendungen, die im Unternehmen später zum Einsatz kommen, können dann auch später jeweilige Vereinbarungen getroffen werden.
Wann sollten Betriebsräte das Thema KI und Betriebsvereinbarung angehen?
So früh wie möglich! Denn die KI wird auch in kleineren Betrieben ankommen. Wer bereits zuvor eine Betriebsvereinbarung dazu getroffen hat, ist ein Stück weit auf der sicheren Seite.
Was hältst du von Schulungen für Betriebsräte zum Umgang mit KI?
Auch Schulungen halte ich grundsätzlich für sinnvoll. Denn für viele von uns ist die KI noch unsichtbar. Wer aber ein Bild davon bekommt, kann die Herausforderungen besser begreifen. Ich habe kürzlich erlebt, wie KI aus einer kurzen Videodatei eines Sprechers dessen Stimme in Wort und Bild in 32 verschiedene Sprachen übersetzt hat. Um Ähnliches ging es kürzlich beim Streik der Schauspieler in Hollywood. Die Gefahr besteht, dass aus einer kurzen Sequenz eines Schauspielers ohne dessen Zutun anschließend viele Einstellungen produziert werden. Das zeigt ungefähr die Möglichkeiten der KI.
KI bietet für uns als Betriebsräte eher keine umwälzenden Vorteile.
Wir haben viel über die Gefahren und Bedrohungen durch KI gesprochen. Gibt es auch Vorteile der Künstlichen Intelligenz, die Betriebsräte für sich nutzen können?
Wir Betriebsräte sind meist gezwungen, Regulierungen hinterherzurennen. Am Ende sind wir glücklich und zufrieden, wenn sie auch eingehalten werden. Es ist fast schon unmöglich, die bestehenden Systeme der Informationstechnologie (IT) auf Einhaltung zu prüfen. Dadurch verbleibt zu wenig Zeit, um an anderer Stelle selbst Initiator bei IT zu sein. Insofern würde ich sagen: KI bietet für uns als Betriebsräte eher keine umwälzenden Vorteile. Aber klar: In der praktischen Anwendung können wir uns den einen oder anderen Text von ChatGPT schreiben lassen – oder auch Flugblätter entwerfen lassen. Letztlich können wir uns sogar unsere Betriebsvereinbarung über den Einsatz Künstlicher Intelligenz von Künstlicher Intelligenz verfassen lassen. Das kann helfen, aber nur für einen ersten Entwurf, der immer von Menschen auf Plausibilität geprüft werden muss.