Portrait

Juni | Juli 2023

Die Multi-Aktive

Sandy Richter, IDT Biologika

Die 39-Jährige ist Betriebsratsvorsitzende, sitzt im Hauptvorstand der IGBCE, engagiert
sich im Bezirksfrauenausschuss und geht auch sonst keinem Ehrenamt aus dem Weg.

Foto: 3undzwanzig, Hartmut Boesener

Auf die Welt des Ehrenamts war Sandy Richter nicht vorbereitet: „Mitbestimmung ist leider nicht Bestandteil des Studiums“, sagt die 39jährige Betriebsratsvorsitzende bei IDT Biologika in Dessau. Im Jahr 2014 wurde sie in den Betriebsrat gewählt und trat in die IGBCE ein. Der damalige Betriebsratsvorsitzende hatte sie überzeugt. Vier Jahre später wurde Sandy – sie war bis dahin Prozessassistentin in der Impfstoffproduktion – selbst zur freigestellten Vorsitzenden des 17-köpfigen Gremiums gewählt.

Mit der Freistellung engagierte sie sich auch stärker in der Gewerkschaft und wurde Mitglied im Bezirksvorstand Halle-Magdeburg der IGBCE. „Ich möchte der Pharmabranche im Bezirk ein Gesicht geben“, beschreibt Sandy ihre Motivation. „Tariflich gehören wir zwar zur Chemie, allerdings sind die Themen in der Pharmaindustrie häufig doch etwas anderer Natur als in klassischen Chemiebetrieben.“ Selbst innerhalb der Branche mache es noch mal einen Unterschied, ob man Kopfschmerztabletten presse oder mit Zellkulturen Wirkstoffe herstelle, wie es ihr Unternehmen tut. „Die Biologie funktioniert leider nicht immer nach Plan", erklärt sie, „schon ein Wetterumschwung kann das Wachstum der Zellen verändern.“

Frauenarbeit liegt Sandy besonders am Herzen. „Frauen sind in unseren Branchen noch immer unterrepräsentiert“, sagt sie. Der Frauenausschuss ihres Bezirks ist für sie ein Stück Heimat. „Die Sitzungen kommen mir nie wie Arbeit vor, sondern wie Treffen mit Freundinnen.“

Auf dem Gewerkschaftskongress der IGBCE 2021 wurde Sandy in den ehrenamtlichen Hauptvorstand der IGBCE gewählt. Die politische Arbeit dort, hat sie in den vergangenen eineinhalb Jahren festgestellt, sei wesentlich globaler ausgerichtet als im Bezirk. Energiewende, Digitalisierung oder der generelle Wandel der Arbeitswelt – „da bekommst du einen anderen Blickwinkel auf die Probleme“, sagt sie. Es sind Probleme, die am Ende auch in den Bezirken der IGBCE und den einzelnen Betrieben ankommen.

Im Betriebsrat spielen derzeit vor allem die Energiekrise und der Fachkräftemangel eine Rolle. Sandy beschreibt die Suche nach Fachkräften als „war for talents“, als Krieg um Talente. Diese seien immer schwerer zu finden. Das Problem für IDT: Im Dessauer Biopharmapark, in dem auch IDT sitzt, sind mehrere Pharmafirmen vertreten, die alle Personal suchen. Das Unternehmen reagiert auf den Mangel mit mehr Ausbildungsplätzen und will auch Quereinsteigern bessere Entwicklungsmöglichkeiten bieten.

Wir wollen vorbeugen und den Beschäftigten die Möglichkeit geben,
Kopf und Körper zu entlasten.

Erfolg kann Sandy von einer anderen Baustelle vermelden: Sie hat mit ihrem Gremium eine Betriebsvereinbarung zum Thema Gesundheitsmanagement abgeschlossen. Dabei stehen weniger der kostenlose Obstkorb oder der x-te Rückengymnastikkurs im Zentrum; vielmehr geht es um Gefährdungsbeurteilungen insbesondere für psychische Belastungen – und um die Schritte, die man daraus ableitet. „Wir sind gerade dabei, weitergehende Möglichkeiten zur direkten Unterstützung am Arbeitsplatz zu entwickeln und Kooperationspartner zu suchen“, sagt Sandy. Ziel ist es, den Menschen zu sehen und nicht nur seine Arbeitsleistung. „Wir wollen vorbeugen und den Beschäftigten die Möglichkeit geben, Kopf und Körper zu entlasten.“

Sandy Richter tanzt auf vielen Hochzeiten gleichzeitig, ohne dass ihr dabei schwindelig wird. Es sind ihre Ämter, die sie stets aufs Neue motivieren und antreiben. Ihre Arbeit als Betriebsrätin, als Vorsitzende eines großen Gremiums, schließlich ihre gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb und in der Region – „da schließt sich ein Kreis.“ Und wenn sie selbst mal abschalten will? „Auch privat bin ich ein Tausendsassa“, verrät sie. „Ich vereise unglaublich gerne. Andere Kulturen zu erleben, erdet mich und hilft mir, einen klaren Kopf zu bewahren.“ Multi-aktiv ist sie eben nicht nur im Beruf.

Leo Kölzer