Interview

Oktober | November 2024

„Viele sind unzufriedener als früher“

Foto: Thomas Niedermüller

Zur Person:

Silvia Kegel, (54), ist seit 2001 bei Axalta. Sie hat in der kaufmännischen Abteilung gearbeitet und in der Produktion. Neben ihren Tätigkeiten im Betriebsrat und im Vertrauens­körper engagiert sie sich im ­Bezirksfrauenausschuss.

Im Frühjahr haben IGBCE-Mitglieder in rund 950 Betrieben neue Vertrauensleute gewählt. Silvia Kegel steht beim Autozulieferer Axalta in Wuppertal seit jüngstem als Vorsitzende an der Spitze des dortigen Vertrauenskörpervorstands. Im Interview mit unserem Autor Andreas Schulte spricht die 54-Jährige über ihre Ziele und über unzufriedene Belegschaften. Möglichst bald will sie Freizeit für Vertrauensleute durchsetzen.

Silvia, die diesjährigen Wahlen der Vertrauensleute sind abgeschlossen. Warum hast du Verantwortung übernommen und dich auch zum Vertrauenskörpervorstand wählen lassen?

Ich war bereits seit vier Jahren im Vertrauenskörper als Bildungsobfrau aktiv. Zudem bin ich seit 2014 auch Mitglied des Betriebsrats und mittlerweile freigestellt. Es ist aus unserer Sicht wichtig, dass Vertrauensleute und Betriebsrat Hand in Hand arbeiten. Wir hatten dies auch mal anders, aber ohne enge Anbindung an den Betriebsrat haben Vertrauensleute es schwerer, an entscheidende Informationen zu gelangen. Jetzt sind wir zu fünft im Vorstand. Drei von uns sind zugleich auch im Betriebsrat.

Was war deine erste Maßnahme als Vorsitzende?

Ich habe unsere Intranetseite auf Vordermann gebracht. Die lag ein bisschen brach. Jetzt gibt es dort zumindest die nötigen Kontaktdaten der Vertrauensleute. Das Intranet ist auch für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder zugänglich. Deshalb können wir dort gut darstellen, was wir überhaupt machen. Das wissen viele gar nicht. Hier müssen wir deutlich aktiver werden und zeigen, dass die Arbeit unserer 55 Vertrauenspersonen attraktiv sein kann und Spaß macht. Außerdem habe ich einen Arbeitskreis für Öffentlichkeitsarbeit ins Leben gerufen. Dort sollen sich alle Gedanken machen, wie wir unsere Arbeit besser nach außen tragen können. Auch die Kommunikation untereinander kann noch besser werden. Wir haben jetzt eine Whatsapp-Gruppe, der gut 40 von uns angehören.

Kannst du beispielhaft eine anstehende Aktion nennen, die repräsentativ für eure Arbeit ist und zugleich nach außen trägt, was Vertrauensleute bewirken können?

Vertrauensleutearbeit geht oft auch über den gewerkschaftlichen Rahmen hinaus. So werden wir voraussichtlich in der Weihnachtszeit in der Kantine einen Wunschbaum aufstellen. Daran hängen Umschläge, die für Geschenke stehen. Kollegen und Kolleginnen können sich einen dieser Umschläge vom Baum pflücken. Darin steht dann geschrieben, welches Geschenk sie einem sozial benachteiligten Kind in der Region schenken. Diese Kinder können zum Beispiel auch Geschwisterkinder von Sterbenden sein. Wir wissen von der Hospizarbeit der Caritas, dass diese Kinder aufgrund des schweren Schicksals ihrer Geschwister sehr leiden, aber in dieser Phase auch sehr wenig Aufmerksamkeit erhalten. Auch solche Aktionen sind Teil unserer Tätigkeit.

Chapeau! Und was steht im Betrieb auf eurer Agenda?

In gut anderthalb Jahren stehen Betriebsratswahlen an. Wir müssen daher bald eine Strategie entwickeln, wie wir die Belegschaft über die Unterschiede zwischen Listen- und Personenwahl aufklären. Zuletzt hatten wir sehr viele Listen. Das dürfte viele Wähler verunsichert haben, weil nicht leicht erkennbar war, für welche Inhalte einige Listen stehen.

Vertrauensleutearbeit geht oft auch über den gewerkschaftlichen Rahmen hinaus.

Silvia Kegel

Oft heißt es, die Zahl derjenigen sinke, die bereit sind, sich zur Vertrauensperson wählen zu lassen. Wie ist das bei euch?

Wir haben genügend Kandidaten und Kandidatinnen. Aber, ja: Es waren jetzt ein paar weniger als zuletzt.

Woran liegt das?

Schwer zu sagen. Die Arbeitsverdichtung nimmt immer weiter zu. Nicht nur bei uns hier bei Axalta. Das ist überall so. Das höre ich auch von anderen Betriebsräten und Vertrauensleuten. Viele sind einfach durch. Beschäftigte haben mittlerweile nicht mehr die Kraft für ein Amt zusätzlich zur Arbeit.

Was lässt sich dagegen unternehmen?

Ich arbeite schon seit längerem an einem Projekt, das Freizeit für Vertrauensleute herausholen soll. Bislang opfern sie meist ihre Pausen für ihre Arbeit. Mit Freizeit könnten Vertrauenspersonen ihre Arbeit entspannter und damit auch sorgfältiger ausführen. Zugleich wäre dies ein Zeichen der Wertschätzung und wenn es für den Anfang nur drei Stunden pro Quartal sind. Ich habe das Projekt schon im Klubb 200 der IGBCE vorgestellt. Das ist ein Qualifizierungsprogramm für besonders engagierte Ehrenamtliche.

Es mangelt an Wertschätzung.

Silvia Kegel

Mit welchem Erfolg?

Dort sind meine Ideen gut angekommen. Aber natürlich ist ein Projekt, das dem Arbeitgeber Freizeit für Vertrauenspersonen abringt, ein dickes Brett. Es ließe sich über Betriebsvereinbarungen regeln, aber lieber wäre es mir, dies tariflich zu verankern. Wie lange dies dauern kann, sehen wir am jüngsten Tarifabschluss, der uns erstmals nach jahrelangem Kampf einen freien Tag für IGBCE-Mitglieder bringt.

6,85 Prozent mehr Geld, ein freier Tag für IGBCE-Mitglieder. Motiviert ein erfolgreicher Tarifabschluss für die Arbeit von Vertrauensleuten?

In jedem Fall. Viele Vertrauensleute können das Gesamtbild gewerkschaftlicher Arbeit nicht überblicken. Ich bin auch Mitglied der Tarifkommission. Nicht nur meine Erzählungen von der Front helfen ihnen sehr, innerhalb der Belegschaft für die IGBCE zu werben.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen von Vertrauensleuten in eurem Betrieb über die Jahre hinweg verändert?

Was ich jetzt sage, gilt für das Gros der Beschäftigten und für Vertrauensleute. Viele sind leider unzufriedener geworden. Das liegt nicht an den Vertrauensleuten, sondern an äußeren Einflüssen, zum Beispiel an der Firmenkultur. Es mangelt an Wertschätzung. Wir scherzen immer, dass stattdessen Wertschröpfung herrscht. Auch die Corona-Krise hat ihre Spuren hinterlassen gerade bei jungen Leuten. Man merkt ihnen an, dass sie lange Zeit allein verbracht haben. Bei ihnen sind viele Eigeninteressen im Spiel. Oft fehlt es an Teamfähigkeit. Aber auch das ist ja eine gute Aufgabe für uns Vertrauensleute: die Teamfähigkeit junger Menschen zu stärken.

Wie unterstützt euch die IGBCE bei eurer Arbeit?

Ich habe bei der IGBCE für alle Anliegen Ansprechpartnerinnen und -partner. Vielleicht könnte die IGBCE noch offensiver für Bildungsurlaub werben. Manchmal fehlen Inhalte, die näher an der Praxis der Mitbestimmung sind. Für Vertrauensleute könnte da inhaltlich noch mehr gemacht werden.