Wie Betriebsräte für Zukunft sorgen
Betriebsräte sind Garanten der Mitbestimmung. Sie sorgen dafür, dass die Interessen der Beschäftigten gehört werden. Immer häufiger gehen sie auch proaktiv voran, denken ihre Betriebe neu, geben wichtige Impulse für die Zukunft ihrer Standorte und sichern so langfristig Beschäftigung. Kathryn Kortmann stellt drei Beispiele vor. Sie sind für den Betriebsrätepreis nominiert.
Das ehemals Sächsische Serumwerk in Dresden hat eine lange Tradition von weit über 100 Jahren. Am Standort, unweit der berühmten Frauenkirche mitten in der Dresdner Innenstadt, der heute zum Konzern von Glaxo Smith Kline (GSK) gehört, werden klassische Grippe- und Reiseimpfstoffe hergestellt. Das Werk hat Weltkriege, Hochwasser und die Transformation in der Wendezeit überstanden.
Ausgerechnet die Corona-Pandemie setzte dem Werk so zu, dass es zu massiven Auftragseinbrüchen kam. „Wie wichtig auch Grippeimpfungen sind, haben viele seither gar nicht mehr auf ihrer Agenda – mit gravierenden Folgen für unsere Belegschaft“, erklärt Peter Mißbach, Betriebsratsvorsitzender bei GSK in Dresden. Weil die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fast zeitgleich zu der ohnehin geringeren Nachfrage auch noch einen der vier Grippestämme für ausgerottet erklärt hat, ist die Produktion von Impfstoffen bei GSK in Dresden um mehr als die Hälfte geschrumpft.
Der Konzern hatte, um die Standortkosten zu senken, nur eine Lösung parat: Personalabbau. „Falscher Ansatz“, befand der Betriebsrat. Aus sozialen Aspekten und aus Sorge um die Zukunftsfähigkeit des Standorts. „Haben unsere Beschäftigten erst mal in der boomenden Halbleiterindustrie rund um Dresden einen neuen Job gefunden, sind sie für GSK verloren, wenn die Impfbereitschaft wieder zunimmt und sich die Auftragsbücher füllen“, sagt Eric Jacob, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. „In Zeiten von Fachkräftemangel ist das ein gewichtiges Argument.“ Dem sich auch der Arbeitgeber letztlich nicht verschloss und gemeinsam mit dem Betriebsrat nach Lösungen ohne Kündigungen suchte.
Den Schlüssel dazu fanden sie in einer zutiefst gewerkschaftlichen Tugend: Solidarität. Wenn alle Beschäftigten im Betrieb vorübergehend ihre Arbeitszeit entgeltwirksam um dreieinhalb Stunden auf 35 Wochenstunden reduzieren, muss niemand um den Arbeitsplatz bangen. „Uns war es wichtig, dass sich wirklich alle daran beteiligen, auch die Geschäftsführung“, betont Mißbach. Um die notwendigen Betriebsvereinbarungen unter Dach und Fach zu bringen, waren zahlreiche Verhandlungstermine notwendig. „Und wir haben eine intensive Informationskampagne gefahren, um unsere Kolleginnen und Kollegen mit ins Boot zu holen“, so Jacob. „Solidarität lässt sich schließlich nicht über die Köpfe hinweg verordnen.“ Entwickelt wurden auch neue Arbeitszeitmodelle mit mehr Spielraum für die Beschäftigten, zum Beispiel verlängerte Wochenenden oder früherer Feierabend.
Bereits zum 1. Januar 2024 hat knapp die Hälfte der Belegschaft für zwölf Monate die Arbeitszeit reduziert, seit 1. September gilt die Regelung auch für die andere Hälfte. Das Feedback ist überwiegend positiv. „Die allermeisten schätzen die so gewonnene Freizeit“, sagt Mißbach, „und manch einer kann sich schon jetzt nicht mehr vorstellen, in unser ursprüngliches Arbeitszeitmodell zurückzukehren.“
Wenn Träume wahr werden
Im niedersächsischen Stade werden seit 1973 chemische Grundstoffe für die ganze Welt produziert. Fünf Firmen sind derzeit im Chemiepark ansässig: Dow, Aluminium Oxid Stade (AOS), Olin, Trinseo und IFF N & H. 10.000 Arbeitsplätze – davon 2800 direkt – hängen an den Entscheidungen, die die fünf Unternehmen treffen. Die Betriebe sind durch Produkt- und Energieströme miteinander verquickt und aufeinander angewiesen. Dazu stehen sie durch die Energiekrise oder die dringend notwendige Transformation vor gewaltigen Herausforderungen. „Die sind nur gemeinsam zu lösen“, befand Thomas Mellin, damaliger Betriebsratsvorsitzender bei Dow, und initiierte 2022 gemeinsam mit den anderen vier Betriebsratsgremien am Standort ein Netzwerk. Ehrgeiziges Ziel war ein Standortsicherungsvertrag für alle fünf Unternehmen. „Als wir diesen Plan einzeln unseren Geschäftsführungen vorgelegt haben, fiel die Reaktion überall ziemlich ähnlich aus“, erzählt Jonas von Holt, Betriebsratsvorsitzender von Olin. „Luftschloss oder träumt weiter“ bekamen sie zu hören.
Die Betriebsräte träumten weiter und entwickelten einen Plan, wie es gelingen könnte, alle Entscheidungsträger an einen Tisch zu holen. Dafür setzten sie auf Hilfe von ganz oben und schalteten Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies ein. Der war von der Initiative begeistert und lud alle Beteiligten – Geschäftsführungen, Betriebsräte und IGBCE, Industrie- und Handelskammer sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Landes- und Kommunalpolitik – kurzerhand zu sich ins Ministerium nach Hannover ein.
„Bei diesem Termin ging es gar nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie“, erinnert sich Jonas von Holt. Auch das Wie stand bereits nach wenigen Minuten fest: Eine Projektgruppe, ausgestattet mit einer organisatorischen Stelle und 315.000 Euro für drei Jahre, sorgt nun dafür, dass der von den Betriebsräten initiierte Standortentwicklungsplan für den Chemiepark Stade umgesetzt wird. „Aus dem Luftschloss ist eine starke Standortallianz geworden, die gemeinsame Themen, wie den dringend erforderlichen Umstieg auf erneuerbare Energien, viel kraftvoller angeht“, sagt Thomas Mellin, der das, was er vor einigen Jahren angestoßen hat, nun aus dem Ruhestand beobachtet.
Bei diesem Termin ging es gar nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie.
Jonas von Holt
Mitbestimmung to go
Viel Überzeugungsarbeit musste auch der Betriebsrat von Huhtamaki in Alf leisten, um Beschäftigung am Standort unter guten Arbeitsbedingungen zu sichern. Das Werk gehört zum finnischen Huhtamaki-Konzern, der in Rheinland-Pfalz bislang vorwiegend Plastikdeckel für Coffee-to-go-Becher produziert. „Der Druck auf Einwegprodukte aus Plastik wird stärker“, sagt Dieter Mainzer, Betriebsratsvorsitzender in Alf, „der Ruf unserer Kunden nach umweltfreundlicheren Produkten immer größer. Deshalb haben wir uns schon länger für die Produktion nachhaltiger Lebensmittelverpackungen starkgemacht.“
Die am Standort vorhandene Infrastruktur überzeugte schließlich auch die Konzernführung, die neue Produktion von Deckeln aus Fasermaterial in Alf zu realisieren, allerdings in einer Firmenausgründung auf dem Gelände – ohne Tarifbindung und Mitbestimmungsstrukturen. „Das kam für uns nicht in Frage“, sagt Dieter Mainzer. „Zusammen mit der Technologieberatungsstelle Rheinland-Pfalz und der IGBCE ist es uns gelungen, diese Pläne zu verhindern und die neue Technologie in unserem Betrieb zu etablieren.“ Der Konzern verpflichtete sich, bis 2025 einen mehrstelligen Millionenbetrag in Alf zu investieren.
Gelungen ist dies „durch eine Mischung aus Druck und guten Argumenten“, sagt Dieter Mainzer. Dazu gehörten neben Qualifizierungsmaßnahmen auch finanzielle Zugeständnisse der Kolleginnen und Kollegen – abgesichert in einem Investitionstarifvertrag. Derzeit liegen die Einkommen der Beschäftigten noch 8,5 Prozent unter denen der Chemieindustrie, „wir arbeiten aber daran, dass wir uns schrittweise wieder der Fläche nähern“, sagt Mainzer.
Die Auftragsbücher bei Huhtamaki in Alf jedenfalls sind gut gefüllt. Schon bald sollen dort neben Kunststoffbechern und Papierdeckeln auch umweltfreundliche Papierkapseln für Nespressokaffee produziert werden. Inzwischen hat der Konzern rund 70 neue Stellen geschaffen – dank des Betriebsrats mit guten Arbeitsbedingungen.