Endlich (etwas mehr) Klarheit
Wie werden Betriebsräte angemessen vergütet? Wie darf sich ihre Bezahlung im Laufe der Zeit entwickeln? Die Bundesregierung hat das leidige Thema Betriebsratsvergütungen angepackt und das Gesetz ergänzt. Sie reagierte damit auf ein strenges Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Betriebsräte können jetzt durch Betriebsvereinbarungen mehr Sicherheit schaffen. Das ist ein Fortschritt. Ein Durchbruch ist es noch nicht. Bernd Kupilas fasst zusammen.
Bundesgerichtshof
Entscheidung des BGH im Fall VW vom 10.1.2023, Aktenzeichen.: 6 StR 133/22
Betriebsverfassungsgesetz
Der komplette eingefügte Passus in Paragraf 37, Absatz 4 lautet sie folgt: „Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“
Betriebsverfassungsgesetz
Der komplette eingefügte Passus in Paragraf 78 lautet wie folgt: „Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Entgelt nicht vor, wenn das Mitglied der in Satz 1 genannten Vertretungen in seiner Person die für deren Gewährung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“
Bundesarbeitsgericht
BAG 7 AZR 197-23. Der Erfolg vor Gericht war vom DGB-Rechtsschutz erfochten worden. Geklagt hatten zwei ver.di-Mitglieder.
Das Urteil schlug ein wie eine Bombe: Unternehmen machen sich wegen Untreue strafbar, urteilte der Bundesgerichtshof Anfang 2023, wenn sie Betriebsräten zu hohe Vergütungen zahlen. 1 In den Chefetagen schrillten daraufhin die Alarmglocken. „In vielen Betrieben“, berichtet Jan Grüneberg, Leiter der Abteilung Mitbestimmung der IGBCE-Hauptverwaltung in Hannover, „reagierten die Personalabteilungen nervös und gingen auf ihre Betriebsräte zu.“ Die Unternehmen stellten die bislang übliche Praxis der Betriebsratsvergütung in Frage, ganz gleich ob sie nun mündlich verabredet oder schriftlich festgehalten war. Vielerorts waren beide Betriebsparteien ein Stück weit ratlos. „Generell hat das Urteil für große Verunsicherung in den Betrieben gesorgt“, sagt Grüneberg. Hintergrund des aufsehenerregenden Urteils war ein schlagzeilenträchtiger Streit um die Vergütung von Betriebsräten bei VW. Die Praxis bei dem Automobilhersteller hatte zwar mit der Realität in den meisten Betrieben der Republik wenig zu tun, trotzdem nahmen in vielen Unternehmen die Rechtsabteilungen das zum Anlass für eine Überprüfung. Der Vorwurf der Straftat wiegt nun einmal schwer. Hinzu kommt: Der Bundesgerichtshof legte mit seinem Urteil sehr strenge Maßstäbe an die Vergütungsregeln für Betriebsräte. So entschied das Gericht: Das Betriebsratsamt ist ein Ehrenamt. Die Betriebsratstätigkeit ist unentgeltlich auszuüben, wobei im Interesse der Unabhängigkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist. Deshalb könne die Betriebsratskarriere auch nicht als Grundlage für die Bezahlung herhalten.
Was hat der Gesetzgeber geändert?
Damit die Verunsicherung ein Ende hat, reagierte die Bundesregierung und ergänzte das Betriebsverfassungsgesetz. Die Novelle wurde jüngst von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Zwei Paragrafen wurden ergänzt:
Paragraf 37 legt fest, dass das Entgelt eines Betriebsratsmitglieds nicht geringer bemessen sein darf, als das Entgelt „vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“. Hier geht es also um die bewährte Praxis, Vergleichsgruppen zu bilden. Der Gesetzgeber fügte nun einen Passus hinzu, der besagt: Entscheidend für die Bildung von Vergleichsgruppen ist der Zeitpunkt zu Beginn der Amtsübernahme eines Betriebsratsmitglieds – und nicht etwa der Zeitpunkt der Freistellung. Damit wird der Stand der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) noch mehr hervorgehoben. Und: Die Betriebsparteien können eine Betriebsvereinbarung zu dieser Vergleichsgruppenbildung abschließen. Darin können die Kriterien für das Verfahren festgelegt werden. 2
Paragraf 78 legt fest, dass Betriebsratsmitglieder wegen ihres Amtes „weder bevorzugt noch benachteiligt“ werden dürfen. Hier fügte der Gesetzgeber einen Passus hinzu, der klarstellt: Eine Entwicklung der Vergütung ist prinzipiell möglich, und es liegt dann keine Bevorzugung oder Benachteiligung vor, wenn „das Mitglied die für die Gewährung des Entgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt“. Grob übersetzt könnte man sagen: Wer als Betriebsrat in E10 eingruppiert werden will, muss auch können, was man in E10 in diesem Betrieb können muss.
Was sollten Betriebsräte tun?
IGBCE-Fachmann Jan Grüneberg erklärt, worauf es jetzt ankommt: Durch die Betriebsratsarbeit erworbene und durch Betriebsratsschulungen erworbene Fähigkeiten (Verhandlungskompetenz, angeeignetes Fachwissen et cetera) fallen nach dem BGH-Urteil auch nach der Neuregelung als Kriterium für eine höhere Bezahlung aus. Viel wichtiger ist es nach wie vor „zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Vergleichsgruppen zu bilden“. Schon bislang wurde vom BAG gefordert, die Vergleichsgruppen direkt bei Amtsübernahme zu bilden. Erfolgt das erst Jahre später mit der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds, „gestaltet sich die Bildung der Vergleichsgruppen schwierig, weil etwa wegen der Fluktuation oder neuer Stellenbeschreibungen keine geeigneten Vergleichspersonen mehr im Betrieb sind“. Durch die Aufnahme ins Betriebsverfassungsgesetz, so Grüneberg, ist nun für Betriebsratsmitglieder offensichtlicher, die Vergleichsgruppe bereits von Anfang an zu bilden. Betriebsräte sollten auch die Möglichkeit nutzen, eine Betriebsvereinbarung zum Verfahren der Vergleichsgruppenbildung abzuschließen. „Das gibt beiden Seiten Rechtssicherheit.“ Die IGBCE hat eine Musterbetriebsvereinbarung entwickelt, die sie Betriebsräten zur Verfügung stellt. 3
Wie beurteilt die IGBCE die Neuregelung?
Die Neuregelung sei „ein Zurück zum Zustand vor dem BGH-Urteil und gibt uns wieder ein Stück Klarheit“, sagt Grüneberg. Das Gesetz stelle nun klar, dass Betriebsratsvergütungen sich entwickeln dürfen. „Das war nach dem BGH-Urteil so nicht klar“, sagt er. Es gibt Betriebsräten und Unternehmen die Möglichkeit, Kriterien für die Vergleichsgruppenbildung festzulegen. Allerdings ist eine Betriebsvereinbarung hierzu nicht erzwingbar.
Was ist eigentlich mit der Benachteiligung?
IGBCE-Experte Grüneberg bemängelt die Schlagseite, die die Diskussion um Betriebsratsvergütungen im Zusammenhang mit dem BGH-Urteil bekommen hat. „In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, als wäre die Bevorzugung von Betriebsratsmitgliedern das große Problem“, sagt er, „dabei ist eher das Gegenteil der Fall“. Immer noch würden Betriebsräten in vielen, gerade in kleineren Unternehmen Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalten. „Die Arbeitgeber arbeiten hierbei mit allen Tricks und wehren sich gegen eine Höhergruppierung.“ Auch der DGB-Rechtsschutz weiß von skandalösen Fällen zu berichten. Hier, so Grüneberg, „würden wir uns mehr Schutz durch das Gesetz wünschen“. Der große Wurf sei die gesetzliche Neuregelung deshalb noch nicht.
Anspruch auf Schichtzulagen
Zudem hat bei einem neuerdings umstrittenen Thema das Bundesarbeitsgericht jetzt Klarheit geschaffen: Freigestellte Betriebsratsmitglieder haben Anspruch auf die Zahlung ihrer Wechselschichtzulagen, auch wenn sie durch die Betriebsratstätigkeit tatsächlich nicht mehr in Wechselschicht, sondern zu üblichen Bürozeiten arbeiten. Geklagt hatten zwei Rettungssanitäter, denen der Arbeitgeber das Entgelt um die Schichtzulagen gekürzt hatte. Diese Kürzung sei unzulässig, urteilte das oberste deutsche Arbeitsgericht. 4 Es kippte damit ein Urteil der Vorinstanz, die eventuell unter dem Eindruck der BGH-Rechtsprechung diese Bewertung Mitte 2023 getroffen hatte.