Praxis

August | September 2023

Engagiert, politisch, jung

Von wegen unpolitisch, freizeitorientiert und feiern, bis der Arzt kommt – die Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAVen) in den Betrieben beweisen täglich, dass sie es ernst meinen. Kathryn Kortmann berichtet über drei Beispiele, wie JAVen die jungen Beschäftigten in den Betrieben mit ihrem Engagement mitnehmen – und dabei auch noch Spaß haben.

Foto: Harald Reusmann

Best Practice von JAV-Arbeit: Mert Simsir und Laura Korte packen mit ihrer JAV und den Auszubildenden von Evonik im Chemiepark Marl auch wichtige gesellschaftspolitische Themen an.

Gremienarbeit ist alles andere als langweilig, sagt Mert Simsir (20), Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung von Evonik im Chemiepark Marl. „Gremienarbeit macht Spaß.“ Den wollen die jungen Aktiven bei dem Chemiekonzern auch haben, aber der reicht ihnen nicht. Sie wollen ernsthaft etwas bewegen. Rassismus ist so ein ernstes Thema, das die JAV bei Evonik vorbildlich anpackt. Die stellvertretende JAV-Vorsitzende Laura Korte (25) erläutert, worum es der JAV geht: Sie vertritt eine klare Botschaft: „Rassismus hat keinen Platz bei Evonik.“ Die JAV stellt „ein gemeinsames Wir gegen ein ausschließendes Ihr!“

Dafür machen sich die elf Jugendvertreterinnen und -vertreter in dem Gremium stark, zum Beispiel jedes Jahr zu Beginn des Frühlings, wenn bundesweit die „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ stattfinden. Jahr für Jahr illuminieren sie dann Gebäude im und um den Chemiepark, setzen mit Bannern an großen Straßen weithin sichtbare Zeichen, veranstalten einen musikalischen Flashmob in der Kantine und bilden gemeinsam mit den Auszubildenden eine lange Menschenkette. Die gewählten Aktionsformen sind völlig unterschiedlich, aber immer bunt. Die vielen Farben symbolisieren dabei die unterschiedlichen Nationalitäten, Kulturen und Religionen, die bei Evonik zusammenarbeiten. „Wenn wir alle zusammenhalten, geht mehr“, sagt Laura Korte, „deshalb ist Vielfalt ein wesentlicher Teil der Ausbildung.“

Wenn wir alle zusammenhalten, geht mehr – deshalb ist Vielfalt ein wesentlicher Teil der Ausbildung.

Laura Korte,
stellvertretende JAV-Vorsitzende von Evonik im Chemiepark Marl.

Mit einer anonymen, deutschlandweiten Befragung hat sich die Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung (GJAV) der Evonik ein Bild gemacht: Ist Rassismus ein Thema? Haben die Beschäftigten Erfahrungen mit Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit in ihrem alltäglichen Leben gemacht? Die zum Teil schockierenden Antworten flossen in Aufklärungsvideos ein. „Die Filme sollen dazu beitragen, Alltagsrassismus zu erkennen und zu benennen“, sagt Mert Simsir, „und Mut machen, betroffenen Kolleginnen und Kollegen beizustehen und ihnen Hilfe anzubieten.“

Mit ihren Aktionen erregt die JAV viel Aufmerksamkeit – aber ohne Unterstützung durch die mehr als 500 Auszubildenden in Marl wäre das nicht möglich. „Die Bindung zu den Azubis ist wichtig, denn ohne den Rückhalt der Azubis hätten unsere Aktionen nicht so eine Durchschlagskraft“, sagt Mert Simsir. Schon früh stellt sich die Interessenvertretung deswegen den neuen Auszubildenden vor – eine Woche vor Ausbildungsbeginn beim Kennenlerntag. „Der Tag sorgt dafür, dass die Azubis von Anfang an mit einem guten Gefühl in den Chemiepark kommen und sich nicht allein fühlen“, sagt Mert Simsir. Von da an bleibt die JAV im regelmäßigen Kontakt mit den Auszubildenden und schafft Gemeinschaftserlebnisse. „Dieser Austausch ist enorm wichtig, das hat uns die Corona-Zeit gezeigt“, sagt Laura Korte. „Wir kannten uns alle kaum und gingen viel distanzierter miteinander um – nicht nur wegen der Abstandsregeln.“

Foto: Sven Ehlers

Für Sabrina Iseni und Julian Körner beginnt im September eine heiße Phase. Dann nämlich begrüßt die JAV bei BASF in Ludwigshafen die neuen Auszubildenden und dual Studierenden – an bis zu 35 Terminen.

Regelmäßiger Kontakt und frühe Vernetzung sind auch Julian Körner, Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei BASF in Ludwigshafen, und seiner Stellvertreterin Sabrina Iseni wichtig. Das 15-köpfige Gremium ist für mehr als 2400 Auszubildende, dual Studierende, Langzeitpraktikantinnen und -praktikanten sowie Werkstudierende zuständig. Mit dem Ausbildungsbeginn im Spätsommer beginnt für die JAV eine heiße Phase. Dann nämlich heißt es, die vielen neuen Kolleginnen und Kollegen zu begrüßen – eine Mammutaufgabe.

Mit den üblichen halbstündigen Auftritten in den ohnehin stattfindenden Begrüßungsrunden gibt sich die BASF-JAV nicht zufrieden. „Mit jeder neuen Klasse, die startet, gestalten wir einen ganzen Tag“, erzählt Julian Körner. Bei ungefähr 35 Klassen sind das 35 Termine, die die JAV-Mitglieder von September bis kurz vor Weihnachten absolvieren, zusätzlich zu ihrer eigentlichen Gremienarbeit.

An diesem Tag lernen die Auszubildenden ihre JAVis kennen und hören von den Vorzügen, die eine IGBCE-Mitgliedschaft ihnen beschert. „Morgens liefern wir ganz informativ die Fakten“, erklärt der JAV-Vorsitzende, „erzählen, was es mit Tarif und Betriebsverfassungsgesetz auf sich hat, benennen die Erfolge, die die Gewerkschaft über all die Jahre mit und für uns erkämpft hat und machen klar, dass die Arbeitswelt ohne IGBCE für jeden Einzelnen und jede Einzelne deutlich schlechter wäre.“ Am Nachmittag geht es spielerisch weiter. Bei „Wer wird Millionär?“ treten zwei Gruppen gegeneinander an, und „batteln sich in Wissensfragen rund um Tarif, Gewerkschaft, Bildungsurlaub und Co“, um das erlernte Wissen zu festigen. Am Ende des Tages sind mehr als 70 Prozent von den gewerkschaftlichen Leistungen so überzeugt, dass sie der IGBCE beitreten.
Auch eine Fotoaktion gehört fest zum Ablauf dieses Tages. Das persönliche Überreichen der Fotos ein paar Tage später nehmen die JAVis zum Anlass, „um auch bei jenen noch mal nachzuhaken, die noch nicht Mitglied geworden sind“, erzählt Sabrina Iseni und ergänzt: „Oft mit Erfolg.“

Mit jeder neuen Klasse, die startet, gestalten wir einen ganzen Tag.

Julian Körner,
Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei BASF in Ludwigshafen

Wie viel mehr möglich ist, wenn viele zusammenstehen, kann auch Johanna Bohn berichten. Die 22-Jährige ist Vorsitzende der neunköpfigen JAV bei Roche Diagnostics in Mannheim. Gemeinsam mit dem Betriebsrat hat die JAV für die 320 Auszubildenden und dual Studierenden eine Betriebsvereinbarung zur Zukunft der Ausbildung auf den Weg gebracht – die Vereinbarung garantiert allen Ausgebildeten die Übernahme für mindestens 24 Monate. 30 Prozent werden sogar direkt unbefristet übernommen. Für die übrigen 70 Prozent wird in den 24 Monaten nach Möglichkeiten einer dauerhaften Beschäftigung gesucht. Dazu dient zum Beispiel der „Springerpool“, der den Ausgelernten die Möglichkeit gibt, in unterschiedlichsten Bereichen zu hospitieren und dort innerhalb der 24 Monate die Stelle zu finden, die idealerweise zu ihnen passt.

Die Betriebsvereinbarung gilt zunächst bis Ende März 2025. Johanna Bohn ist davon überzeugt, dass die Übernahme auch danach weiterläuft. „Im nächsten Jahr rollen wir das Projekt neu auf“, sagt sie. Die Zeiten dafür sind günstig, denn Fachkräfte werden händeringend gesucht. „Und wir wollen die Ausbildung modernisieren.“ Dazu nutzt die JAV einen Tarifvertrag, den die IGBCE mit den Arbeitgebern abgeschlossen hat. Er heißt Zukunft durch Ausbildung und Berufseinstieg, abgekürzt: ZAuBer. Das passt.