Interview

Dezember 2025 | Januar 2026

„Diese Krise ist ein Wirtschaftskrieg“

Foto: Christian Burkert

Deutschlands Chemieindustrie baut massiv ab – Arbeitsplätze gehen verloren, Anlagen werden geschlossen. Wie schaut der Betriebsratsvorsitzende des größten deutschen Chemieunternehmens der Branche auf die Krise? Im Interview mit Bernd Kupilas erklärt Sinischa Horvat, was schief läuft, was die deutsche Industrie jetzt braucht und warum Betriebsräte aufpassen müssen, dass sie nicht über den Tisch gezogen werden.

Zur Person:

Sinischa Horvat ist Betriebsratsvorsitzender bei BASF SE am Standort Ludwigshafen, Vorsitzender des BASF-Europa- und -Konzernbetriebs­rats. Die BASF ist mit 50.000 Beschäftigten, davon gut 33.000 in Lud­wigshafen, das größte Unternehmen im Organisationsbereich der IGBCE.

Sinischa, ist BASF in 20 Jahren noch ein deutsches Unternehmen oder eher ein chinesisches?

Es wird schon noch ein deutsches Unternehmen sein, davon bin ich überzeugt. Aber ich bin mir nicht sicher, wie viel Chemie wir dann noch in Deutschland produzieren. Und da spreche ich jetzt nicht nur für die BASF, sondern für die ganze Branche. Das wird eine spannende Frage sein: Wie stark versorgen wir die Märkte in Deutschland und Europa noch aus Produktion vor Ort?

Hast du eine Schätzung für uns?

Nein, überhaupt nicht. Im Moment sehen wir nur die massiven Überkapazitäten auf den Märkten, die zum überwiegenden Teil aus China kommen. Darauf mache ich schon lange aufmerksam. China hat vor ungefähr einem Jahrzehnt enorme Kapazitäten aufgebaut. Damals hatte das Land aber noch ein Wirtschaftswachstum von sechs bis zehn Prozent. Heute sind es noch vier, vielleicht mal fünf Prozent. Die Kapazitäten sind aber noch da, und die Produkte werden in den Markt gepresst. Das sehen wir gerade bei den Grundkunststoffchemikalien.

Das heißt, für unsere Produkte ist gar kein Platz mehr?

Ja, zumindest, wenn wir dieselben Produkte herstellen und das wahrscheinlich zu anderen Rahmenbedingungen. Es ist aber nicht nur China, auch Amerika spielt dabei eine Rolle. Oder auch der Mittlere Osten, der seine Ölindustrie diversifizieren will. Dort weiß man, dass Bohrlöcher nicht ewig sprudeln. Da stellt man dann einen Cracker direkt ans Bohrloch und fängt direkt vor Ort mit der Veredelung an.

Wir sind also in einer entscheidenden Phase?

Absolut. Wir stehen gerade vor der Frage: Wie schützen wir uns vor Dumpingpreisen? Aber ganz ehrlich: Eine befriedigende Antwort darauf habe ich auch nicht. Sollen wir wie Trump mit Zöllen und Handelsbeschränkungen reagieren? Das sehe ich nicht. Oder mit Subventionen? Wie lange soll das gutgehen? Deutschland lebte gut vom freien Handel, von guten Handelsabkommen. Die sind massiv unter Druck geraten. Zugleich sehen wir, wie die Häfen von Rotterdam oder Hamburg geflutet werden mit Produkten zu Preisen, bei denen wir uns fragen: Wie geht das? Wir wissen, dass wir unsere Anlagen zu diesen Preisen erst gar nicht anfahren müssen. Da geht es gar nicht mal um Lohnkosten. Was gerade stattfindet, ist ein Wirtschaftskrieg. Ich bin jetzt 32 Jahre in dem Unternehmen und ich habe viele Krisen mitgemacht, die Dotcom-Krise, die Finanzkrise, Corona, auch interne Krisen diese jetzt ist die größte.

Wie reagiert die Belegschaft, wenn Anlagen geschlossen werden?

Unterschiedlich. Wenn ein Produkt an das Ende seines Lebenszyklus’ gelangt, können die Menschen damit umgehen. Etwas anderes ist es, wenn man den Eindruck hat: Wir haben hier ein gutes Produkt und wir haben doch auch alles getan – und am Ende wird die Anlage dann doch geschlossen. Das ist schon frustrierend.

Was gerade stattfindet, ist ein Wirtschaftskrieg. […] Diese jetzt ist die größte Krise.

Sinischa Horvat

Was würde gegen die Krise helfen?

Mit einem verbilligten Strompreis oder mit Bürokratieabbau allein kommen wir gegen diese Krise nicht an. Wir müssen eine Antwort auf diesen Wirtschaftskrieg finden. Außerdem bleibt ein weiterer Aspekt in der Diskussion außen vor: Wir wussten schon immer, dass wir in dem Maße besser sein müssen, in dem wir teurer sind. Auf diese Stärke müssen wir uns zurückbesinnen. Wir brauchen Innovationsbereitschaft. Wir haben qualifizierte Leute hier in Europa mit viel Potenzial. Das müssen wir heben. Wenn ich das im Gremium oder in der Belegschaft anspreche, heißt es: Wir forschen doch schon so viel. Aber es geht eben nicht nur um Forschung, da spielen viele Faktoren ineinander. Da geht es auch um unsere Bildungspolitik, um Schulen, Universitäten, um die hellsten Köpfe. Dass wir da nicht vorankommen, ist ein Offenbarungseid.

Was würdest du Betriebsräten raten, die mit einer schweren Unternehmenskrise konfrontiert sind?

Der erste Schritt sollte immer eine detaillierte Bestandsaufnahme sein: Wo stehen wir eigentlich? Wo genau liegen unsere Probleme? Und dann sollte man sich schnell mit dem Unternehmen zusammensetzen. Ich erlebe nämlich gerade so eine Mitnahmementalität im Management: Da heißt es dann: Diese Regelung ist doof, und jener Besitzstand ist es auch, und was Wachstum behindert, muss weg. Ob das, was da angeblich weg muss, aber tatsächlich das Problem ist, ist eine andere Frage. Deshalb ist eine ehrliche Bestandsaufnahme so wichtig.

Heißt das, Betriebsräte müssen aufpassen, dass sie nicht über den Tisch gezogen werden?

Ja, natürlich. Die Menschen in den Betrieben haben ein sehr feines Gespür für solche Vorgänge. Wenn der Arbeitgeber wirklich mit dem Rücken zur Wand steht, dann sind sie auch bereit, zusammenzuhalten und gemeinsam durch die Krise zu gehen. Aber wenn sie über den Tisch gezogen werden sollen, merken sie das eben auch sehr genau. Im Moment kippt gerade das Miteinander in den Betrieben. Das ist bedenklich.

Kann man als Betriebsrat dagegenhalten?

Genau dafür ist die Bestandsaufnahme ein gutes Instrument. Es ist wichtig, dass Betriebsrat und Gewerkschaft in einer Krise wie dieser dagegenhalten. Denn wenn wir das nicht tun, sind wir am Ende der Buhmann. Da heißt es dann: Ihr vom Betriebsrat, ihr von der Gewerkschaft, ihr habt das doch mitgemacht. Ein bisschen ist unsere Situation vergleichbar mit der Politik. Dort werden ja für alles Elend dieser Welt auch die Altparteien verantwortlich gemacht.

Mit billigem Strom oder weniger Bürokratie lösen wir die Krise nicht – wir brauchen Innovation, kluge Köpfe und eine Antwort auf den Wirtschaftskrieg.

Sinischa Horvat

Bist du enttäuscht von der neuen Bundesregierung?

Sie hat einen guten Anfang gemacht, Stichwort Investitionspakete. Aber aus meiner Sicht verliert sich die Regierung gerade im Klein-Klein und die großen Themen bleiben liegen. Das Geld aus den Investitionspaketen muss endlich an den Start. Wir müssen jetzt endlich ins Handeln kommen.

Wie wirkt sich die Krise auf die Arbeit bei euch im Gremium aus?

Wir stürzen momentan von einer Krisensitzung zur nächsten. Das ist ernüchternd und anstrengend. Ich muss aufpassen, dass mir die Leute im Gremium nicht umkippen. Andererseits gehen wir das engagiert an, da ist viel Leidenschaft dabei, weil wir wissen, dass wir für die Beschäftigten etwas erreichen können.

Habt ihr Zeit für den Betriebsrats­wahlkampf?

Das macht mir tatsächlich Sorgen. Wenn alle Betriebsräte im Verhandeln der Arbeitsbedingungen und in Interessenausgleichsverhandlungen sind, dann fehlt die Zeit, um über die Bedeutung des Betriebsrats in Gänze zu sprechen. Das findet gerade nicht statt. Tue Gutes und sprich darüber kommt zu kurz oder gar nicht vor. Aber wir finden Wege.

Schauen wir zum Abschluss noch mal nach vorn. Angenommen, wir bekommen das Welthandelssystem repariert, wir investieren in Bildung, wir setzen auf Innovation. Wo steht die BASF dann in 20 Jahren?

Ich bin da durchaus optimistisch. Wir haben gute Leute, wie haben tolle Menschen bei der BASF, und wenn wir die Sache richtig anpacken, kann das ein prosperierendes Unternehmen sein. Mir ist aber wichtig, dass es nicht nur der BASF gut geht, sondern dass wir in 20 Jahren auch immer noch einen lebendigen Chemie-Mittelstand in Deutschland haben. Es braucht diese gesunde Mischung, und die Strategie Last One Standing, also: Wir schauen mal, wer überlebt – das kann es nicht sein. Für einen Betriebsrat und die IGBCE ist das kein Anspruch.