„Dem Abbau einen Riegel vorschieben“
Die IGBCE startet in eine schwierige Tarifrunde Chemie. Wie schwierig die Lage ist, warum es dennoch höhere Entgelte braucht, was die IGBCE noch erreichen will und warum der Hauptvorstand in seiner Forderungsempfehlung keine Prozentzahl nennt, erklärt Tarifvorstand Oliver Heinrich im Interview mit Bernd Kupilas.
Oliver Heinrich ist Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der IGBCE.
Foto: Stefan Koch
Oliver, der Hauptvorstand der IGBCE empfiehlt eine Forderung, die keine konkrete Prozentzahl enthält. Was ist da los?
Wir haben uns sehr bewusst dafür entschieden, eine unbezifferte Forderungsempfehlung auszusprechen, einfach weil die Zeiten gerade nicht danach sind. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der die Chemieindustrie steckt, legen wir den Schwerpunkt auf Beschäftigungssicherung. Dass wir keine konkrete Zahl für eine Entgeltsteigerung nennen, heißt aber noch nicht, dass wir auf eine Erhöhung verzichten. Wir sagen klar: Die Beschäftigten brauchen mehr Geld, die Kaufkraft muss gestärkt werden. Darauf werden wir am Verhandlungstisch massiv drängen. Aber dazu brauchen wir keine Zahl. Auf die verzichten wir vorerst, das bringt auch strategisch einen Vorteil.
Welcher Vorteil ist das?
Wir fahren in dieser Tarifrunde bewusst auf Sicht. Wir haben drei Jahre wirtschaftlicher Stagnation hinter uns, die Lage ist wirklich nicht gut. Aber am Horizont gibt es zumindest erste Anzeichen einer Aufhellung. Für das kommende Jahr sagen die Wirtschaftsinstitute wieder Wachstum voraus. Wenn die Tarifverhandlungen Anfang kommenden Jahres dann Fahrt aufnehmen, könnte die Lage schon besser aussehen, und dann werden wir das sicher thematisieren.
Die Arbeitgeber fordern eine Atempause. Zu Recht?
Gerade in diesen atemlosen Zeiten kann es eine Atempause nicht geben. Die Entwicklung ist rasant, und wir werden ganz sicher nicht zuschauen, wie alles sich entwickelt, nur die Entgelte der Beschäftigten auf der Strecke bleiben. Ich weiß auch gar nicht, was die Arbeitgeber mit Atempause meinen. Wenn sie sich darunter eine Nullrunde vorstellen, kann ich nur sagen: nicht mit uns. Die strukturelle Krise kann nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen, zumal die Lohnkosten in der Chemie ohnehin nicht der entscheidende Posten sind. Wie gesagt: Wir müssen etwas für die Kaufkraft tun, das ist schon allein aus volkswirtschaftlicher Sicht wichtig. Wir dürfen auch nicht vergessen, wie sehr die Beschäftigten unter der hohen Inflation der Vergangenheit gelitten haben. Es gibt immer noch Nachholbedarf. Dem müssen wir in den Verhandlungen Rechnung tragen.
Wir müssen etwas für die Kaufkraft tun, das ist schon allein aus volkswirtschaftlicher Sicht wichtig.
Oliver Heinrich
Wie könnte Beschäftigungssicherung aussehen?
In unseren Betrieben grassiert massiv die Streichsucht, jeden Tag gehen Arbeitsplätze verloren. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben, und zwar schnell. Dafür wollen wir Instrumente entwickeln, und hier sind die Arbeitgeber massiv gefordert. Wenn sie hierbei nicht aus dem Quark kommen, werden sie das an anderer Stelle spüren, nämlich bei der Frage der Entgelterhöhung. Bei Beschäftigungssicherung denken wir aber auch über den Tag hinaus.
Wie meinst du das?
Gerade in schwierigen Zeiten stehen wir als Gewerkschaft für Sicherheit, auch für junge Leute. Wir sehen mit Grauen, wie die Zahl der Ausbildungsplätze in den Betrieben der Chemieindustrie stark sinkt, nach unserer Einschätzung um rund 15 Prozent. Das kann nicht die Antwort auf die Krise sein, damit verbaut sich die Chemieindustrie ihre Zukunft. Als Gewerkschaft denken wir über den nächsten Quartalsabschluss hinaus. Die Zukunftsperspektiven aller Altersgruppen werden Themen dieser Tarifverhandlung sein. Zukunft geht nicht ohne junge Leute.
Erwartest du eine harte Auseinandersetzung?
Ja, definitiv. Diese Tarifrunde wird alles andere als ein Selbstläufer. Deshalb fordere ich unsere Mitglieder und unsere Ehrenamtlichen auf: Bringt euch ein! Beteiligt euch an unseren Tarifaktionen! Gerade in diesen Krisenzeiten ist jeder und jede von uns gefordert.