Praxis

Dezember 2025 | Januar 2026

Aufbruch
in neue Zeiten

Foto: Andreas Teichmann

Miese Stimmung, Willkür und Ungerechtigkeiten in Betrieben ohne Mitbestimmung ist in Sachen Arbeitsklima und Motivation oft viel Luft nach oben. Doch die Situation lässt sich ändern. Das beweisen engagierte Belegschaften immer wieder. Kathryn Kortmann hat sich in zwei Betrieben umgehört, wie Beschäftigte ihre Arbeitswelt gemeinsam mit der IGBCE Stück für Stück verbessert und so für mehr Zufriedenheit gesorgt haben.

In Haltern am See besuchten Boris Wölm ( Titelbild rechts) und Onurcan Cakir im Oktober die zweite IGBCE-Grundlagenschulung für Betriebsräte. Ihnen ist es wichtig, die neuen Aufgaben von der Pike auf zu lernen, um für die Beschäftigten bei Masterflex in Gelsenkirchen das Maximum zu erreichen.

Diesen Tag im November vor gut zwei Jahren wird Onurcan Cakir nicht vergessen. An diesem Tag gerät seine Arbeitswelt bei Masterflex in Gelsenkirchen aus den Fugen. „Drei Kollegen wurde gekündigt und ich erhielt eine Änderungskündigung, sollte von der Produktion ins Lager wechseln“, erzählt er. „Klar, dem Betrieb ging es nicht gut, aber dieser Schritt kam unerwartet, weil ich bis zu dem Tag geglaubt habe, dass ein Arbeitgeber dabei bestimmte Kriterien einhalten muss.“ Der Schock sitzt tief, aber nur kurz. Denn Onurcan Cakir beschließt, sich gegen die Kündigungen zu wehren – und wendet sich an die IGBCE. Die ist sofort bereit, ihn dabei zu unterstützen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch kein Gewerkschaftsmitglied ist.

Die Geschichte geht am Ende gut aus und letztlich wird dieser eine schockierende Tag im November 2023 sogar zu einer Art Wendepunkt für alle Beschäftigten bei Masterflex. Dass die IGBCE sich für die Kollegen starkgemacht hat, spricht sich rum. Dafür sorgt Onurcan Cakir. „Ich bin das beste Beispiel, dass die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft die beste Arbeitsversicherung ist“, sagt er und macht damit seither Werbung für die IGBCE bei den Masterflex-Beschäftigten.

Er spricht die Kolleginnen und Kollegen direkt an, erzählt, wie ihm die IGBCE geholfen hat, und erklärt ihnen, dass mit einer gut organisierten Belegschaft auch sonst viel mehr möglich ist. Seine Argumente fallen auf fruchtbaren Boden. Immer mehr schließen sich in den folgenden Monaten der IGBCE an und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und ihre Arbeitswelt mitzugestalten.

Im Winter 2024 schließlich folgt der nächste Schritt. Erstmals soll ein Betriebsrat gewählt werden. „Der Arbeitgeber war wenig begeistert von unseren Plänen und hat durchaus versucht, uns Steine in den Weg zu legen“, berichtet Onurcan Cakir. Aber die Entschlossenheit der Beschäftigten, die Arbeitswelt beim Schlauchhersteller für industrielle Anwendungen mitzubestimmen, überzeugt letztlich auch den Arbeitgeber. „Als klar war, dass ein Betriebsrat nicht mehr zu verhindern ist, hat die Geschäftsführung die Wahl auch nicht mehr behindert“, sagt Cakir. Mit Hilfe der IGBCE wird auf der Betriebsversammlung im vergangenen Februar mit der Bestellung des Wahlvorstands die Wahl offiziell eingeläutet. Im Mai 2025 findet die konstituierende Sitzung des siebenköpfigen Betriebsrats statt. Erster Vorsitzender wird Boris Wölm, Onurcan Cakir sein Stellvertreter. Seither hat sich schon einiges verändert, „auch für uns persönlich“, sagt Boris Wölm, „der Arbeitsalltag ist für uns umfangreicher geworden“. Die Betriebsratsarbeit für die 165 Beschäftigten bei Masterflex leisten er und die übrigen Betriebsratsmitglieder zusätzlich zu ihrer regulären Arbeit.

Und gänzlich ohne Vorkenntnisse macht sie sich auch nicht. „Aber auch dafür haben wir mit der IGBCE eine starke Partnerin an unserer Seite“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Wann immer es Fragen gibt, „ist unser Gewerkschaftssekretär für uns ansprechbar und mit Rat zur Stelle“, so Wölm. An zwei Grundlagenschulungen der IGBCE für Betriebsräte hat das noch junge Gremium aus dem Ruhrgebiet auch bereits teilgenommen, „um das Handwerk von der Pike auf zu lernen und für die Kolleginnen und Kollegen das Maximum zu erreichen“.

Ich bin das beste Beispiel, dass die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft die beste Arbeitsversicherung ist

Onurcan Cakir.

Nächstes Ziel: Tarifvertrag

Inzwischen hat der Betriebsrat auch erste Betriebsvereinbarungen auf den Weg gebracht. Seither muss er zum Beispiel zustimmen, wenn der Arbeitgeber Überstunden oder Samstagsarbeit anordnen will. Und auch für das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gibt es jetzt eine Betriebsvereinbarung. Die sorgt dafür, dass Langzeiterkrankte nicht mehr allein ins BEM-Gespräch mit dem Arbeitgeber gehen müssen, sondern eine Vertrauensperson an ihrer Seite dabeihaben dürfen. Erfolge, die bei den Kolleginnen und Kollegen gut angekommen sind. „Wir kriegen viel positives Feedback für unsere Arbeit“, sagt Boris Wölm. Das dürfte noch besser ausfallen, wenn auch das nächste Ziel erreicht ist, das sich der Betriebsrat auf seine Fahnen geschrieben hat: ein Tarifvertrag, der für mehr Transparenz und faire Entgelte sorgt. Die Tarifkommission ist bereits gewählt.

Mitbestimmung im Eiltempo

Neue Zeiten sind auch bei Poli-Tape im rheinland-pfälzischen Remagen angebrochen. In atemberaubender Geschwindigkeit von nur knapp einem Jahr hat sich ein Großteil der Belegschaft in der IGBCE organisiert, einen Betriebsrat gewählt und eine sogenannte Überleitungsvereinbarung verhandelt, unterschrieben von Geschäftsführung, Betriebsrat und IGBCE. Die beschert den Kolleginnen und Kollegen nicht nur mehr Geld, sondern garantiert ihnen auch, dass bis Ende 2026 ein Haustarifvertrag stehen soll, der ab 2027 gilt. Dass all das plötzlich möglich war und „dann in diesem Tempo“, überrascht den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Vefa Ceviz immer noch.

Erste Initiativen, einen Betriebsrat zu gründen, um mehr Mitbestimmung durchzusetzen und insbesondere „den lange üblichen Entgelten nach Nasenfaktor den Kampf anzusagen“, wurden von der Geschäftsführung des 1993 gegründeten Familienbetriebs verhindert. Als sich 2024 die Übernahme des Folienherstellers im Landkreis Ahrweiler durch die italienische Fedrigoni-Gruppe abzeichnete, sahen die Aktiven ihre Chance gekommen, einen erneuten Versuch zu starten, „auch, weil wir Angst davor hatten, in einem global tätigen Konzern komplett zerfleischt zu werden“, erzählt Betriebsratsvorsitzender Aziz El Fatouaky. „Wir haben Kontakt zur IGBCE aufgenommen und uns im kleinsten Kreis ganz konspirativ in einer Bäckerei in Sinzig getroffen“, erinnert sich Vefa Ceviz.

Der Einsatz hat sich gelohnt wir bekommen mehr Geld und gestalten unsere Arbeitswelt aktiv mit

Aziz El Fatouaky

Geheim deshalb, damit die Bemühungen dieses Mal nicht vorzeitig im Keim erstickt werden konnten. „Aus diesem Treffen sind wir mit der Aufgabe rausgegangen, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen für die IGBCE zu begeistern“, sagt Ceviz. „Ziel war es, gleich mit großer gewerkschaftlicher Stärke einen neuen Anlauf zur Betriebsratswahl zu nehmen.“ Der Plan ging auf, auch weil die Initiatoren immer wieder darauf verwiesen haben, dass die eher bescheidenen Entgelte nur steigen werden, „wenn wir uns geschlossen und mit Unterstützung der IGBCE dafür einsetzen“, sagt El Fatouaky.

Schon im Dezember 2024 wurde der neunköpfige Betriebsrat gewählt, der sich gleich das Thema Tarifvertrag ganz oben auf seine Agenda gesetzt hat. Anders als oft üblich habe der Arbeitgeber die Betriebsratswahl nicht verhindert. „Aber das Wort Tarifvertrag wollte auch unsere Geschäftsführung zunächst gar nicht in den Mund nehmen“, erzählt Betriebsratsvorsitzender El Fatouaky. „Gegen bessere Löhne und Gehälter sträubte sich unser Arbeitgeber zwar nicht, die wollte er aber nur mit dem Betriebsrat und nicht mit der IGBCE verhandeln.“

Gewerkschaftliche Stärke wirkt

Es brauchte eine aktive Mittagspause im Mai, um ihn umzustimmen. Lautstark und weithin sichtbar machten die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit Ratschen, Trillerpfeifen und IGBCE-Fahnen auf ihr Anliegen aufmerksam. Die Botschaft kam an. Die Geschäftsführung erklärte sich bereit, jetzt auch mit der IGBCE zu verhandeln zunächst eine Überleitungsvereinbarung und im nächsten Schritt dann einen Tarifvertrag. Am 12. Juni wurde die Vereinbarung für die 200 Beschäftigten am Standort Remagen unterzeichnet.

„Der Einsatz hat sich gelohnt“, sagt Aziz El Fatouaky, „nicht nur, weil wir mehr Geld kriegen, sondern auch weil die Mitbestimmung bei uns jetzt einen anderen Stellenwert hat und wir unsere Arbeitswelt aktiv mitgestalten können.“ Daran haben die IGBCElerinnen und IGBCEler bei Poli-Tape jetzt richtig Gefallen gefunden. Nächste Ziele sind zum Beispiel die Etablierung von Vertrauensleutestrukturen im Betrieb und die Wahl von Jugend- und Auszubildenden- sowie Schwerbehindertenvertretungen.