Interview

Oktober | November 2025

„Die Verunsicherung der Belegschaft ist groß“

Foto: Daniel Karmann

Der Sportartikelhersteller Adidas ist aus dem Tarifvertrag ausgestiegen ein beispielloser Akt für einen Dax-40-Konzern. IGBCEler Andreas Fischer erklärt im Interview mit ­Isabel Niesmann, wie es nach der Kündigung der Tarifbindung von Adidas weitergangen ist und wie die Beschäftigten damit umgehen.

Zur Person:

Andreas Fischer ist Vorsitzender der IGBCE-Ortsgruppe Sportartikel Mittelfranken. Er ist außerdem Mitglied in der Tarifkommission der Schuh- und Sportartikelindustrie, die gerade einen neuen Tarifvertrag für die Sportartikelbranche aushandelt.

Andreas, welche Reaktionen gab es auf die Tarifflucht von Adidas?

Zunächst gab es eine Welle von Medien- und Presseberichten, in denen kritisch über diesen Schritt und seine weitreichenden Folgen berichtet wurde, verbunden mit zahlreichen Appellen an den Arbeitgeber, diese einseitig getroffene Entscheidung zu überdenken. Bei der von der IGBCE organisierten Aktionswoche Ende August ging es dann vor allem darum, den Beschäftigten an den Standorten Herzogenaurach, Uffenheim, Scheinfeld und Rieste zu erklären, welche Konsequenzen die Entscheidung von Adidas hat, und was eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im Arbeitgeberverband bedeutet. Denn damit können die meisten nichts anfangen. In diesen Gesprächen entschieden sich auch mehrere Beschäftigte, der IGBCE beizutreten. Zusätzlich war die IGBCE mit ihrem Tarifmobil an den Scheinfelder Adidas-Standorten vor Ort. Das war schon lange im Voraus, ursprünglich noch als reine Tarifaktion zur aktuellen Tarifrunde der Schuh- und Sportartikelindustrie, geplant.

Welche Sorgen machen sich deine Kolleginnen und Kollegen?

Nach wie vor sind die Beschäftigten ratlos und hoffen auf eine baldige Beilegung dieses von allen Mitarbeitenden nur noch als Belastung empfundenen Konfliktes. Zwar sind viele beruhigt durch die Nachgeltung der bestehenden Tarifverträge, die Zusage des Unternehmens, an den Arbeitsverträgen nichts zu ändern und die Erklärung, dass zumindest das monetäre Verhandlungsergebnis der aktuellen Tarifrunde in der Schuh- und Sportartikelindustrie an die Belegschaft weitergegeben werden soll. Die Verunsicherung aber bleibt. Die Beschäftigten befürchten nach wie vor eine Verschlechterung der hohen tariflichen Standards, die in vielen Tarifrunden für sie erreicht wurden. Sie sorgen sich, dass nicht nur Fachkräfte, sondern Beschäftigte an allen Ecken und Enden fehlen werden, weil Unternehmen ohne Tarifbindung in der Regel nur noch die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllen. Sie befürchten, dass sie langfristig weniger Schutz haben und ohne Tarifbindung nur noch vom Wohlwollen ihres Arbeitgebers abhängig sind.

Was ist in dieser Situation dein wichtigster Ratschlag?

Einige Beschäftigte denken, dass sie jetzt, nach dem einseitigen Ausstieg aus der Tarifbindung, keinen Grund mehr haben, der IGBCE beizutreten oder Mitglied zu bleiben. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Denn nur IGBCE-Mitglieder haben einen rechtssicheren Anspruch auf eine faire Bezahlung und tarifliche Leistungen. Um sich diese Rechte zu sichern, ist es deshalb gerade jetzt so wichtig, Mitglied in der IGBCE zu sein.

Adidas steht als international bekanntes Unternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung für Innovation, Fairness und gesellschaftliches Engagement.

Andreas Fischer

Das Unternehmen ist mit seiner Entscheidung in die Schlagzeilen geraten. Hilft die öffentliche Aufmerksamkeit?

Ja, denn Adidas steht als international bekanntes Unternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung für Innovation, Fairness und gesellschaftliches Engagement. Entscheidungen wie der Rückzug aus der Tarifbindung werden nicht nur intern, sondern auch extern aufmerksam verfolgt. Das Unternehmen engagiert sich sozial, hat eine große Anerkennung als attraktiver, beliebter Arbeitgeber und stößt mit der getroffenen Entscheidung gerade deshalb viele vor den Kopf.

Adidas stört sich besonders an einem Mitgliedervorteil, den die Tarifkommission der IGBCE gefordert hat. Wie erklärst du dir das?

Erklären kann ich mir das nicht, denn in der Vergangenheit wurden Tarifabschlüsse immer allgemeinverbindlich an alle Beschäftigten weitergegeben. Die Forderung nach einem Mitgliedervorteil ist deshalb völlig legitim und normal. Die IGBCE hat ja auch bereits für die Mehrheit ihrer Mitglieder Vorteile durchgesetzt. Erst die Gewerkschaftsmitglieder ermöglichen Tarifverhandlungen und Tarifergebnisse. Ihr soziales Engagement sollte honoriert werden. Es verdient den gleichen Stellenwert wie ein Ehrenamt in Sportvereinen und anderen sozialen Einrichtungen. Das soziale Engagement leben wir auch in unserer Ortsgruppe Sportartikel Mittelfranken. Dort organisieren wir unseren regelmäßigen Stammtisch sowie Grillfeste, Bildungsfahrten und Weiterbildungen und setzen uns aktiv für die vielfältigen Interessen und Bedürfnisse der Mitglieder ein. So schaffen wir einen Mehrwert für alle.

Außerdem wehrt sich Adidas gegen die Forderung, mehr Entgeltgruppen in Tarifbindung zu bringen. Warum?

Aktuell gibt es in der Schuh- und Sportartikelindustrie nur acht Entgeltgruppen, zehn oder mehr Entgeltgruppen sind in anderen Branchen durchaus üblich. Das führte bei Adidas dazu, dass mehr als die Hälfte der Beschäftigten außertariflich eingruppiert wurden. Für sie gelten keine tariflichen Bedingungen: Sie arbeiten 40 statt der tariflich vereinbarten 39 Wochenstunden – teilweise noch mehr – und alles in zwölf Monatsgehältern inkludiert.

Die Tarifkommission wird sich auch weiterhin mit aller Kraft und Ausdauer für die Mitgliederforderungen einsetzen, um ein erfolgreiches Tarifergebnis zu erzielen.

Andreas Fischer

Zwar ist Adidas nicht mehr tarifgebunden, trotzdem sitzen Tarifkommissionsmitglieder von Adidas in der Tarifrunde für die Schuh- und Sportartikelindustrie weiterhin mit am Verhandlungstisch. Wieso das?

Die Tarifkommission der Schuh- und Sportartikelindustrie besteht aus insgesamt acht Mitgliedern, fünf davon kommen von Adidas. Sie wurden als Tarifkommissionsmitglieder gewählt und sind weiterhin im Amt. Ich selbst bin seit 2013 bei den Tarifverhandlungen mit dabei. Die Tarifkommission wird sich auch weiterhin mit aller Kraft und Ausdauer für die Mitgliederforderungen einsetzen, um ein erfolgreiches Tarifergebnis zu erzielen, auch wenn Adidas auf der Arbeitgeberseite nicht mehr mit am Tisch sitzt.

Was sind die nächsten Schritte?

Es ist für uns alle klar, dass eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine faire, sichere Vergütung weiterhin die höchste Priorität haben. Die Kolleginnen und Kollegen sollen auch künftig von erfolgreichen Tarifabschlüssen und Tarifverträgen profitieren. So wie es aktuell ist, kann es nicht dauerhaft bleiben. Denkbar wäre es, auf einen Haustarifvertrag hinzuwirken.

Das ist wahrscheinlich eine schwierige und belastende Situation für dich. Wie gehst du damit um?

Die Situation ist belastend, weil es keine klare Vorgehensweise oder einfache Lösung für so einen Fall gibt. Aber ich lasse mich nicht verunsichern und entmutigen.

Was macht dir Mut?

Ich bin ein optimistisch denkender Mensch und davon überzeugt, dass beide Seiten, Gewerkschaft und Arbeitgeber, sich bald wieder an einen Tisch setzen, die strittigen Punkte ausdiskutieren und zur gemeinsamen Sozialpartnerschaft zurückfinden werden.