Praxis

Oktober | November 2025

Auf Tippel-
tappeltour

Ob als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und Vertrauensleutevorsitzender bei InfraServ Gendorf oder als Mitglied im Bezirksvorstand der IGBCE in Altötting – Markus Staller lebt Gewerkschaft. Das wirkt authentisch auch bei der Gewinnung von Mitgliedern.

Foto: Tom Bauer

Ein gutes Gespräch hilft bei der Mitgliederwerbung. Deshalb hatte die IGBCE eine Kampagne ins Leben gerufen: Aktive der Gewerkschaft führten 15.000 zusätzliche Gespräche in den Betrieben. Wie gelingen solche Gespräche und wie lassen sich Kolleginnen und Kollegen für die IGBCE begeistern? Welche Argumente ziehen besonders gut? ­Kathryn Kortmann hat sich bei drei erfahrenen und erfolgreichen Werbern umgehört.

Rote Kappen oder Jacken – bei der Ansprache der Kolleginnen und Kollegen hilft es, als IGBCE erkennbar zu sein.

Foto: Tom Bauer

Liebe geht bekanntlich durch den Magen – auch die zu Gewerkschaften. Deshalb positionieren sich die IGBCE-Vertrauensleute (VL) um ihren VL-Vorsitzenden Markus Staller bei InfraServ im Chemiepark Gendorf im oberbayrischen Burgkirchen an der Alz auch schon mal gern vor der Betriebskantine. Dort, wo mittags rund 1000 Essen ausgegeben werden, treffen sie nicht nur in kurzer Zeit auf viele Beschäftigte. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich Gespräche in Vorfreude auf gutes Essen oder mit einem gefüllten Magen oft auch leichter führen lassen. „Vor allem dann, wenn gleich erkennbar wird, wer die Kolleginnen und Kollegen da anspricht“, sagt Markus Staller. „Um als Gewerkschaft sichtbar zu sein, tragen wir bei solchen Aktionen gern unsere roten IGBCE-Jacken. Dann wissen alle gleich, um was es geht.“ Essbares hatten die Vertrauensleute aller Betriebe im Chemiepark auch bei einer Aktion im Rahmen der 15.000 Gespräche-Kampagne vor den Sommerferien als kleinen Köder dabei – kühlendes Eis am Stiel. Dazu gab es jede Menge Informationen und den Hinweis: „In unserer Mitte ist noch Platz.“ Ansprachen wie diese zeigen, wie wichtig Präsenz und vor allem Dialoge sind, „um Zuwachs zu generieren“, sagt Staller. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, sagt der 48-Jährige, der auch stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei InfraServ Gendorf ist. „Wir müssen immer wieder mit den Menschen ins Gespräch kommen, ihnen klarmachen, dass es gute Arbeitsbedingungen und Tariferhöhungen nur mit einer starken Gewerkschaft gibt.“

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten gilt das umso mehr. Deshalb haben sich Staller und seine Vertrauensleute im vergangenen Herbst ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: 75 plus x Neuaufnahmen sollten es sein. Der Zeitpunkt war dabei nicht zufällig gewählt, denn zum 1. September stiegen die Löhne und Gehälter für die Beschäftigten in der Chemieindustrie in einem ersten Schritt. „Ein guter Anlass, den Kolleginnen und Kollegen noch einmal klarzumachen, wem sie das zu verdanken haben“, erzählt Staller. Und weil der Tarifabschluss, den die IGBCE Ende Juni 2024 erzielt hatte, erstmals auch einen Bonus exklusiv für Mitglieder enthielt – einen zusätzlichen freien Tag –, fiel die Ansprache noch leichter. „Unser Ziel wurde deutlich übertroffen“, berichtet Markus Staller, der für die Anliegen seiner Kolleginnen und Kollegen immer ein offenes Ohr hat. Das nämlich, so berichtet er, ist eine weitere Zutat erfolgreicher Mitgliederwerbung. „Die Menschen müssen ein Gesicht vor Augen haben, wenn sie an die IGBCE denken“, erzählt er, „sie müssen wissen, wer sich um sie kümmert, wenn sie Probleme haben. Gewerkschafter bin ich nicht nur zu Dienstzeiten, ich lebe Gewerkschaft.“

Ebenso wichtig wie eine gezielte Ansprache, so Stallers Erfahrung, ist außerdem die Motivation der Werbenden. Diese Motivation haben die Vertrauensleute bei InfraServ Gendorf noch zusätzlich ein bisschen angeheizt. Für jedes neue Mitglied gab es ein Los, das die Chancen auf attraktive Preise bei einer Tombola erhöhte.

Am Ende zählt immer der Blick ins Portemonnaie.

Andreas Kiesow

Der Blick ins Portemonnaie zählt

„Ohne persönliches Gespräch geht in puncto Mitgliedergewinnung gar nichts.“ Das bestätigt auch Andreas Kiesow. Der 60-Jährige ist Betriebsratsvorsitzender bei Hamburger Rieger in Spremberg. Rund 530 Beschäftigte arbeiten in der Papierfabrik am Standort in der brandenburgischen Niederlausitz. Regelmäßig begibt sich Andreas Kiesow auf „Tippeltappeltour durch den Betrieb, um Aufklärungsarbeit zu leisten“, sagt er. Aus gutem Grund: Die wenigsten Beschäftigten kennen die Hintergründe ihrer guten Arbeitsbedingungen, die ihnen der Haustarifvertrag angelehnt an die Fläche Papier – beschert. Wie die Arbeitswelt ohne Gewerkschaften aussehen würde, kann Andreas Kiesow ihnen dann schwarz auf weiß demonstrieren.

Mit auf Tippeltappeltour geht nämlich eine von ihm erstellte zehnseitige Broschüre. Darin ist zu lesen, warum es die Fünf-Tage-Woche und den Acht-Stunden-Tag gibt. Oder was es mit Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld auf sich hat, warum der tarifliche Urlaubsanspruch höher ist als der gesetzliche und wie es zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kam. „Alles Errungenschaften, die es ohne unsere Gewerkschaften nie gegeben hätte“, sagt Andreas Kiesow, „und die immer wieder neu verteidigt werden müssen, weil es sie sonst nicht mehr dauerhaft geben wird.“ Erst Anfang des Jahres gab es öffentliche Diskussionen, im Krankheitsfall zu einem unbezahlten Karenztag zurückzukehren. Und die neue Bundesregierung sorgte vor der Sommerpause mit ihren Überlegungen zur Anhebung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit für Schlagzeilen. „Solche Pläne aus den Reihen der Politik spielen uns bei der Mitgliedergewinnung in die Karten“, sagt Kiesow, „aber auch dafür braucht es ein gewisses Grundverständnis für die Arbeit von Gewerkschaften.“

Äußere Anlässe wie diese eignen sich gut, um die Kolleginnen und Kollegen für die IGBCE zu begeistern. Aber auch Umfragen und die spätere Kommunikation der Ergebnisse schaffen gute Gesprächsgrundlagen. Das hat sich in der Papierfabrik in Spremberg gerade erst wieder gezeigt. An einer Befragung des Betriebsrats im März haben sich auch viele bislang nicht organisierte Kolleginnen und Kollegen beteiligt. Umso erstaunlicher war eines der Ergebnisse: Auch unter ihnen haben sich etliche für einen exklusiven Mitgliedervorteil ausgesprochen. Für Andreas Kiesow eine gute Gelegenheit, auf die (noch) Nichtmitglieder zuzugehen und ihnen all die Vorteile einer Mitgliedschaft noch mal nahezulegen. „Am Ende“, sagt er, „zählt immer der Blick ins Portemonnaie, und wenn sich das durch Boni wie mehr Freizeit oder monetäre Vorteile ausschließlich für Gewerkschaftsmitglieder darstellen lässt, liegen die Argumente auf der Hand. Insofern sollten solche Boni zum elementaren Bestandteil von Tarifverhandlungen werden.“

Mehr Geld für alle und noch mehr Geld ausschließlich für IGBCE-Mitglieder das ist ein Pfund, mit dem wir richtig wuchern konnten.

Patrik Schüssler

Wie der Mitgliederbonus wirkt

Argumente, die auch beim Reifenhersteller Pirelli in Breuberg ziehen. Der Organisationsgrad unter den 2300 Beschäftigten ist gut. Nach dem ordentlichen Tarifabschluss in der Kautschukindustrie Ende Juni ist er noch viel besser. 250 neue Mitglieder haben sich der Gewerkschaft danach in nur zweieinhalb Monaten angeschlossen. „Das war ein guter Zeitpunkt, um den Orgagrad noch einmal kräftig zu pushen“, erzählt Betriebsrat Patrik Schüssler. Zusammen mit dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Hüseyin Burhan steht er aktuell ganz oben auf der Liste der IGBCE-Werberinnen und -Werber. „Mehr Geld für alle und noch mehr Geld ausschließlich für IGBCE-Mitglieder – das ist ein Pfund, mit dem wir richtig wuchern konnten“, sagt der 40-Jährige.

In allen Bereichen haben die beiden gemeinsam mit anderen Vertrauensleuten und Mitgliedern des Betriebsrats bei Pirelli im südhessischen Odenwaldkreis das 1:1-Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen gesucht vor der Kantine oder beim Gang durch die Abteilungen. Insbesondere der Mitgliederbonus, sagt Patrik Schüssler, hat bei vielen vorher Unentschlossenen nach dem Tarifergebnis zur Unterschrift unter den Aufnahmeantrag geführt. Denn der Bonus lässt die Kasse exklusiv für IGBCEler noch einmal kräftig klingeln: In diesem Jahr bekommen sie zusätzlich 450 Euro obendrauf, ab 2026 dann 426 Euro extra. „In den meisten Fällen haben die Kolleginnen und Kollegen den Mitgliederantrag gleich vor Ort unterschrieben“, so Schüssler. Auch die neuen Auszubildenden wurden direkt in der Begrüßungswoche über die monetären Vorteile des lukrativen Abschlusses informiert vom Mitgliedervorteil profitieren auch sie.