Interview

August | September 2024

Männer schreien
lauter „hier“

Foto: Thomas Niedermüller

Zur Person:

Kora Wödl (52) arbeitet bei Catalent seit fast 23 Jahren als Quality Assurance Spezialistin. Betriebsrätin ist die gelernte Einzelhandelskauffrau seit 2014.

Kora Wödl hat beim Pharmaunternehmen Catalent im schwäbischen Schorndorf eine Betriebsvereinbarung (BV) zur Prävention sexueller Belästigung initiiert. Im Interview mit Andreas Schulte spricht die Betriebsrätin und Vorsitzende des Bezirksfrauenausschusses über die Gleichstellung von Frauen, über Männer mit Vorteilen bei Weiterbildungen und wie sich die IGBCE für Frauen noch attraktiver aufstellen könnte.

Kora, du hast bei Catalent eine BV zur Prävention und Verfolgung von sexueller Belästigung auf den Weg gebracht. Wie kam es dazu?

Ich war im Herbst 2023 bei einem DGB-Workshop zur Stärkung von Frauenrechten. Dort habe ich erstmals von der ILO C190 gehört. Diese Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation sichert allen Menschen das Recht auf eine Arbeitswelt ohne Gewalt und Belästigung zu. Auch Deutschland hat diese Konvention unterschrieben und mittlerweile ein entsprechendes nationales Gesetz umgesetzt. Aber bei uns im Betrieb hatte niemand je etwas davon gehört. Ich habe mich dann an den Text der Konvention gewagt, die BV davon abgeleitet und rechtlich prüfen lassen.

Auslöser der BV war also kein Fall von sexueller Belästigung?

Nein, aber in den vergangenen Jahren hat es dennoch einige Fälle gegeben. Davon habe ich als Betriebsrätin erfahren. Nur haben die betroffenen Frauen sich nicht entschlossen, die Vorfälle zu verfolgen oder öffentlich zu machen. Meine Hoffnung ist, dass die BV dabei hilft, diese Hemmschwelle zu überbrücken. In jedem Fall ist sie ein Signal nach außen. Ob sie jemanden abschreckt, weiß ich nicht.

Was steht denn genau darin?

Zunächst geht es um Formalia: Wo gilt die BV und für wen? Außerdem haben wir definiert, was unter sexueller Belästigung zu verstehen ist. Das empfindet jede Frau anders. Wir haben die Opferperspektive eingenommen und gesagt, sexuelle Belästigung beginnt da, wo jemand sie als solche empfindet. Darüber hinaus sichern wir Betroffenen Rechte zu, etwa das Recht, dass wir den Vorfall verschwiegen behandeln. Es setzt also kein Automatismus ein, der womöglich in einer Strafverfolgung mündet. Das wollen viele nicht. Außerdem bieten wir Hilfe an: Wir können Betroffene zum Beispiel an Pro Familia oder psychosoziale Beratungsstellen vermitteln. Wie man genau auf einen Fall sexueller Belästigung reagiert, entscheiden wir mit den Betroffenen im Einzelfall. Ganz wichtig ist allerdings immer, dass Opfer und Täter sich im Arbeitsalltag fortan nicht mehr begegnen.

In der Chemieindustrie arbeiten nur 30 Prozent Frauen. Ist die Branche für sexuelle Belästigung anfällig?

Das kann ich nicht belegen, halte es aber für vorstellbar. In der Metallbranche scheint es ähnlich zu sein. Da berichten mir Frauen, dass sie angesichts so manchen Spruchs in der Produktion ein dickes Fell brauchen.

Der Arbeitgeber muss deutlich machen:
Wer sexuell belästigt, hat im Unternehmen nichts mehr zu suchen.

Kora Wödl

Was erwartest du bei diesem Thema vom Arbeitgeber?

Ein klares Statement. Vorhandene Ethikrichtlinien müssen mit Leben gefüllt und glaubhaft kommuniziert werden. Der Arbeitgeber muss deutlich machen: Wer sexuell belästigt, hat in diesem Unternehmen nichts mehr zu suchen. Ein möglicher Täter muss dies von vornherein wissen.

Der Kampf gegen sexuelle Belästigung ist nur ein Teil deines Engagements. Wo siehst du in der Chemiebranche den größten Handlungsbedarf in puncto Gleichstellung?

Das sind starre Arbeitszeitmodelle, die es Frauen kaum ermöglichen, zum Beispiel Kinderbetreuung und Pflege mit der Arbeit in Einklang zu bringen. Gerade im Schichtbetrieb und bei Teilzeit sind die Modelle zeitlich nicht flexibel. Das muss attraktiver werden. Es würde schon helfen, wenn auch Kitazeiten flexibler wären. Außerdem sind Frauen auch in puncto Rente benachteiligt. Denn durch Zeiten für Kindererziehung und möglicherweise Pflege sammeln sie weniger Rentenpunkte als Männer. Eine Frau, die nur Teilzeit arbeiten kann, wird mit der Rente nicht auskommen. Sie ist auf einen Mann angewiesen. Aber das darf nicht so sein: Ein Mann ist keine Altersvorsorge.

Wie können Frauen mehr Rentenpunkte sammeln?

Da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn jetzt kommen wir wieder zu den konkreten Maßnahmen, die wir vorhin schon genannt haben: Wir brauchen bessere Arbeitszeitmodelle und Kitaplätze auch mehr Weiterbildungen speziell für Frauen. Ich bin sicher, dass wir damit mehr Frauen in die Arbeitswelt locken könnten.

Bei betrieblichen Weiterbildungen werden überwiegend Kurse für Männer angeboten.

Kora Wödl

Bei der Chancengleichheit bei Weiterbildung gibt es auch Nachholbedarf?

Bei uns im Betrieb – und wahrscheinlich nicht nur bei uns – ist immer noch die Haltung weit verbreitet: Wir haben hier kein Gleichstellungsproblem. Aber gerade bei betrieblichen Weiterbildungen ist es dennoch so, dass überwiegend Kurse für Männer angeboten werden, weil sie einfach lauter „hier” schreien. Sie fordern bei der Personalabteilung etwa Kurse als Vorbereitung auf die Meisterprüfung. Frauen sind da deutlich zurückhaltender, was ihre Karriere hemmt.

Die von dir genannten Themen sind Teil des Zehn-Punkteplans für mehr Gleichstellung, der beim Frauentag der IGBCE Ende Mai im Fokus stand. Wie trommelst du für diesen Plan?

Wie verteilen ihn im Betriebsrat und unter den Vertrauensleuten, die ihn ihrerseits weitergeben. Zudem haben wir bei Catalent ein Frauennetzwerk unabhängig von der IGBCE. Auch da bringe ich den Plan an. Das Schöne ist, dass dort Nichtmitglieder mit anderem Blickwinkel weitere Ideen einbringen, um Frauen mehr Chancen in der Arbeitswelt zu bieten.

Die IGBCE engagiert sich für mehr Frauenrechte. Gleichzeit ist aber nur knapp jedes vierte Mitglied eine Frau. Wie kann die IGBCE für Frauen noch attraktiver werden?

Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht muss die IGBCE noch näher an die weiblichen Mitglieder heranrücken und noch deutlicher machen, dass sie für viel mehr steht als für Tarifpolitik. Außerdem finden viele Weiterbildungen der IGBCE in Hannover, Haltern oder Berlin statt. Eine weite Reise schreckt aber insbesondere Frauen mit Kindern ab. Mehr Angebote in den Bezirken wären da sicher hilfreich. Und auch noch mehr Bildungsangebote für Mitglieder ohne Funktion könnten die Attraktivität steigern. Von Vorteil sind bestimmt auch Mitgliedervorteile. Bei den jüngsten Tarifverhandlungen haben wir einen zusätzlichen freien Tag für Gewerkschaftsmitglieder ausgehandelt. Solche Errungenschaften können locken.